White Charity

White Charity (1)

Was hat die Plakatwerbung deutscher NGOs mit Rassismus und Kolonialismus zu tun?

 

Wie sehr die uns umgebende Werbung unser Denken beeinflussen kann, wurde im letzten Heft schon in dem Artikel neue Stadtguerilla besprochen. Unser Autor hat sich ein paar weitere Gedanken zu einer ganz besonderen Werbenische gemacht: den Spendenplakaten.

Ich laufe durch die Einkaufsstraßen einer deutschen Großstadt. Es ist Anfang März und der Frühling hat sich das ein oder andere Mal schon vor die Tür getraut. Eigentlich sieht alles gleich aus. Der Supermarkt macht Werbung für die Fairtrade Bio-Mangos aus Südamerika für eine bessere Welt und Freiland-Ostereier aus der Region zur Unterstützung der heimischen Landwirtschaft. Dahinter warten die üblichen Kleidungs-, Drogerie- und Schuhgeschäfte, wie sie in ganz Deutschland zu finden sind.

An einer weißen Hauswand prangt ein riesiges Plakat. Von dort lächelt mich ein kleines Kind, kaum bekleidet, mit einem Stock in der Hand an. Das Kind ist Schwarz (2). Hinter ihm steht eine Papp-Kuh auf einer Wiese mit der Aufschrift der Spendenorganisation, von der dieses Plakat ist. Darunter ein mehrdeutiger Satz, der wohl an meine Moral oder mein menschliches Mitgefühl appellieren soll: „Schicken sie Zukunft!“ In der Ecke schließlich das Logo dieser bekannten deutschen Entwicklungshilfeorganisation, Care International. Mit meiner Spende, meinem „Care-Paket“ kann ich also zu einer gerechteren und besseren Welt beitragen? Meine Aufmerksamkeit bleibt kurz daran hängen, dann gebe ich mich wieder dem Schlendern hin. So ziehe ich also durch die Straßen und merke kaum, was gerade für Bilder in meinen Kopf reproduziert werden. Bilder die Menschen in Deutschland gewohnt sind und nicht weiter auffallen. Irgendetwas daran stört mich, doch ich kann es nicht genau benennen. Was genau wird mir durch solch ein Plakat suggeriert?



Wieder zu Hause angekommen setze ich mich an den Rechner und beginne zu recherchieren. ‚Spendenwerbung Plakat‘ oder ‚Entwicklungspolitische Plakatwerbung‘ sind meine Stichwörter. Recht schnell stoße ich auf mehrere Artikel zu diesem Thema. Ich scheine also nicht der Erste zu sein, der sich diese Frage stellt. Es gibt sogar einen Film dazu. Er heißt White Charity. Produziert wurde er von Carolin Philipp und Timo Kiesel. Er befasst sich mit der öffentlichen Plakatwerbung großer deutscher entwicklungspolitischer Organisationen. Die Plakate, sagt Kiesel, „haben einen großen Einfluss darauf wie in Deutschland Schwarze und weiße Identitäten konstruiert werden. Der Dokumentarfilm analysiert die Spendenplakate aus einer rassismuskritischen, postkoloniale (3) Perspektive.“

Doch was genau ist an den Botschaften und Plakaten problematisch oder rassistisch? Und was ist überhaupt Rassismus?

Rassismus ist ein konstruiertes Unterdrückungssystem. Er beruht nicht auf wirklichen biologischen Unterschieden, sondern lediglich auf von Menschen gemachten. Um dies zu erklären muss ich weiter ausholen. Bereits vor ein paar hundert Jahren, mit Beginn der Kolonisierung der außereuropäischen Welt wurde ein Herrschaftssystem entwickelt, welches Menschen in verschiedene ‚Rassen‘ einteilte, bei denen die ‚Europäische‘ an der Spitze stand. Erst durch diese Vorstellung wurde es möglich, nicht europäische Erdteile zu erobern, zu unterdrücken und zu ‚entwickeln‘. Die Kolonisierten wurden dabei als unmündige Gegenpartei dargestellt, denen die europäischen Mächte hin zu einer in ihren Augen modernen Gesellschaft verhelfen mussten. So wurde bereits damals das Bild in die Köpfe vieler Menschen gepflanzt, dass die Länder des globalen Nordens in einer unhinterfragbaren Geberrolle sind und die Länder des globalen Südens sich ohne diese Hilfe nicht ‚entwickeln‘ können.

Bereits hier besteht jedoch ein grundlegender Kritikpunkt. Die postkoloniale Forscherin Julia Lossau meint hierzu, die Fokussierung auf sogenannte ‚Entwicklung‘ enthalte bereits, dass „dieser Gedanke fest in Wissens- und Repräsentationssystemen verankert ist, in denen ‚die westliche Welt‘ als Standard und Vorbild erscheint.“ Es zeugt also bereits von einer ungleichen Machtverteilung, wenn von ‚entwickeln‘ die Rede ist.

Hier besteht schließlich die Verbindung zu den Spendenplakaten deutscher Nichtregierungsorganisationen (NROs). Auf Plakaten, wie dem oben beschrieben wird den gezeigten Menschen und den durch sie repräsentierten Gesellschaften oftmals Rückständigkeit unterstellt und der Fokus auf eine angenommene Unterentwicklung gelegt. Die NROs haben bei der Abbildung Schwarzer Menschen und People of Color (4) (PoC) ein quasi Monopol, finden sich doch beispielsweise in Unternehmenswerbungen kaum Abbildungen von PoCs. Die „nicht-europäischen Völker werden als unmündige Kinder, die noch der Anleitung und der Hilfe und der Unterstützung bedürfen“, dargestellt (Aram Ziai in White Charity). Das Augenmerk liegt hier eindeutig auf den Defiziten dieser Menschen. Sie werden als passive Objekte dargestellt, denen nur durch eine aktive Gabe weißer Retter_innen geholfen werden kann. Dementsprechend werden auf den Plakaten von NROs oftmals auch weiße, helfende ‚Helden‘ abgebildet. Sie werden meist als individuelle, selbstbestimme Personen dargestellt, die in der Lage sind Hilfe zu geben, was wiederum die bereits beschriebene Vorstellung der eigenen Überlegenheit reproduziert. Diese Form der Öffentlichkeitsarbeit trägt zu einer Einteilung von Menschen entlang von rassistischen Stereotypen, bei dem Weißsein an der Spitze steht, bei und festigt vorurteilsbehaftete Zuschreibungen.

Hier wiedersprechen die Organisationen sich selbst. Die gewählten Darstellungen widerstreben den eigenen auf die Fahnen geschriebenen Zielen nach Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Bekannte Verbindungen zwischen dem Wohlstand der Einen und der Armut der Anderen finden hier keinen Platz und werden ausgeblendet. So fußt dieser Wohlstand doch zu großen Teilen auf der beschriebenen ungleichen Verteilung. Mit Beginn der Kolonisierung begann eine Ausbeutung von Rohstoffen und Menschen, die bis heute anhält. Aber Ausbeutung ist nur eines von vielen Problemen. Tragen nicht beispielsweise auch Waffen ‚Made in Germany‘ und exportiert in die Krisenregionen dieser Erde dazu bei, Armut weiter aufrechtzuerhalten? Als größter Waffenexporteur Europas verkauft Deutschland jedes Jahr Waffen im Wert von mehreren Milliarden Euro in alle Welt (5) Doch historische oder politische Zusammenhänge werden meist nicht dargestellt. Eher wird suggeriert, dass durch (m)eine Spende von einigen Euros, der Hunger in der Welt bekämpft werden könne.

Wie können solche problematischen Darstellungen also verhindert werden? Ein erster Schritt in die richtige Richtung wurde zwar bereits eingeschlagen – es finden sich heutzutage mehr Plakate, die auf eine Abbildung von Menschen verzichten und stattdessen mit Zeichnungen oder Grafiken hantieren. Dennoch wird dabei meist nicht die Struktur der Argumentation verändert. Selbst „wenn die personalisierten Objekt-/Opferdarstellungen ausbleiben, bleibt die Zweiteilung der Welt in Menschen und Gesellschaften, die ein Problem haben, und denen, die die Lösung bringen“, sagt auch Timo Kiesel. Hier wäre eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der eigenen Ideologie seitens der NROs notwendig, da diese ihre Kampagne weiterhin auf kolonialen und rassistischen Strukturen aufbauen. Das Problem ist zu grundsätzlich um es nur mittels einer veränderten Darstellung auf den Plakaten zu beheben. Die NROs müssten sich vielmehr als Sprachrohr dieser benachteiligten Menschen sehen und nicht für sie sprechen, sondern sie sprechen lassen, ohne sie dabei in die Opferrolle zu drängen. Doch ein Umdenken findet, wenn überhaupt, nur sehr langsam statt.

Einige Wochen später.

Das zweite Redaktionstreffen liegt gerade hinter uns und ich bin auf dem Nachhauseweg.

Ich komme am Bahnhof an und muss auf meinen Zug warten. Wieder sehe ich ein großes Spendenplakat, dieses Mal von der „Aktion Deutschland Hilft“, einem Zusammenschluss mehrerer NROs. Darauf steht „Hunger in Afrika - Jetzt spenden!“ Dazwischen ein lebensgroßes Abbild eines Schwarzen Kindes, offensichtlich unterernährt, das seinen Mund in Richtung einer Portion Essen streckt. Dass es bei diesem Plakat explizit um die Hungersnot in Somalia geht, bleibt dem Betrachter ohne weitere Nachforschung vorenthalten.



Jetzt, nach meiner Recherche, kann ich auch benennen was mich an diesem Plakat stört. Afrika wird homogenisiert, als eins dargestellt und entmündigt: das Kind steht stellvertretend für einen ganzen Kontinent. Auch die Abbildung von Kindern ist typisch. Mittels dieser Verniedlichung, wird die Vorstellung vom ‚kindlichen‘ Afrika, dem ein ‚erwachsenes‘ Europa gegenüber steht, noch weiter verstärkt. Dies ärgert mich nun umso mehr. Niemand bleibt auch nur kurz stehen und betrachtet dieses Bild. Ich tue es, knipse ein Foto mit meinem Handy für das Redaktionsteam. Irgendwie komme ich mir dabei schuldiger vor, als all die Menschen, die hier minütlich vorbei sausen ohne auch nur den kürzesten Gedanken an diese Aufrechterhaltung und Reproduktion rassistischer Machtstrukturen zu verschwenden. Dabei versuche ich doch nur andere darauf hinzuweisen. Mein Zug fährt ein und holt mich zurück aus meiner Gedankenwelt.

Von Manuel

 

Link-Tipp:

White Charity - http://www.whitecharity.de

 

Fußnoten:

(1) White Charity‘ (dt. ‚Weiße Wohltätigkeit‘) ist ein von Carolin Philipp und Timo Kiesel geprägter Begriff, der aus einer postkolonialen, rassismuskritischen Sichtweise die hierarchisierende und Rassismen-reproduzierende Öffentlichkeitsarbeit deutscher NROs und ihre Folgen untersucht.

(2)Schwarz‘ und ‚weiß‘ wird hier nicht als biologische Zuschreibung verstanden, sondern als politisches und soziales Konstrukt. Die Begriffe sollen helfen rassistische und koloniale Strukturen sichtbar zu machen. Die bewusste Großschreibung von ‚Schwarz‘ soll eine Verniedlichung verhindern.

(3) Dies bedeutet, dass die Länder des globalen Südens stärker berücksichtigt und ein Bewusstsein für das Fortbestehen ungerechter Machtstrukturen geschaffen werden soll.

(4) Der Ausdruck ‚People of Colour‘ (POC) beschreibt Menschen, die sich selbst als nicht-weiß definieren und sich deshalb alltäglichen und institutionellen Formen von Rassismus ausgesetzt fühlen. Dadurch wird eine so oft kritisierte Fremdzuschreibung dieser Menschen umgangen.

(5) Siehe: http://www.waffenexporte.org/ (Stand: 15.05.2017)