Waterkant meets Micropolis

 

Tagebuchauszüge der Jugendbegegnung nach Thessaloniki 1

 

Montag, 25.09.2017

Solidarische Grüße aus Saloniki!

Die Vorfreude war und ist natürlich ungebrochen, so dass die schlaflose Reise zu ertragen war, auch wenn lange Wartezeiten und mangelnde Sitzmöglichkeiten in Flughäfen und Bahnhöfen uns zu zermürben versuchten. Als wir, die Waterkant-Crew aus dem zum BDP Sachsen gehörenden Dorf der Jugend in Grimma, dann den ersten Schritt aus dem Flieger wagten, überkam uns wortwörtlich ein Gefühl der Wärme, denn endlich durften wir die 26 Grad Celsius warme Luft schnuppern und hatten die weiteste Strecke hinter uns...

Mittwoch, 27.09.2017

Ein informativer Mittwoch in Thessaloniki

Mit unserer griechischen Partnergruppe Micropolis sind wir unterwegs zum Jüdischen Museum in Thessaloniki. Dazu ein viel zu kurzer historischer Abriss: Thessaloniki war lange Zeit eine "jüdische Arbeiter*innenstadt", in der jedoch alle drei "Weltreligionen" ohne größere Konflikte nebeneinander lebten. Weil sie die größte Gruppe in den verschiedenen Kulturen der Stadt ausmachten, sprachen die Einwohner*innen Thessalonikis zum Beispiel auch Ladino, die Sprache der aus Spanien kommenden, "sephardischen" Jüd*innen. Doch schon vor dem Zweiten Weltkrieg, änderte sich die Situation in der Stadt. Bei einem großen Feuer im Jahr 1917 wurden viele arbeits- und obdachlos; irgendwie war die Kommunikation und die Solidarität unter den Kulturen doch nicht mehr so gut (weil Neid und so), sodass die bereits 1912 eingesetzte zionistische Bewegung mehr Auftrieb erhielt und sich einige Familien gen Palästina aufmachten, um dort ein neues Zuhause zu finden. Als dann im Zweiten Weltkrieg die Deutschen in Griechenland einmarschierten und die Jüd*innen Thessalonikis zu Zwangsarbeit und Tragen eines Judensterns etc. drängten, versuchte die jüdische Gemeinde noch, diese mittels immenser Summen und dem Überlassen des jüdischen Friedhofs (die Grabsteine wurden später zum Bau von Kirchen und anderen Gebäuden benutzt; auf dem Gelände steht heute die Universität) freizukaufen. Vergeblich! Fast alle registrierten Jüd*innen wurden später mit der Lüge, ins "Israel von Polen" gefahren zu werden, nach Treblinka oder Auschwitz deportiert.

Nach diesem geschichtlichen Ausflug hatten wir Zeit. Zeit um über das Gehörte und Gesehene nachzudenken. Aber auch Zeit für einen langen Fußmarsch auf der Suche nach einem veganen Burgerladen.

Freitag, 29.09.2017

Thessaloniki ist eine Stadt, die kaum weiße Wände und freie Stellen übrig hat, was zeigt, dass anscheinend Platz für bunte Vielfalt gegeben wird, oder er sich zumindest geholt wird.

Mittags trafen wir uns alle in dem sozialen Zentrum Mikropolis – Social Space for Freedom. Hier unterhielten wir uns mit Mizos und Vasilis über diese großartige Einrichtung, in der beide arbeiten und den Großteil ihrer Freizeit verbringen.

Das Gespräch mit beiden fand statt in dem selbstorganisierten Bioladen Sintrofia. Der Laden ist täglich geöffnet und die Einnahmen reichen für das Einkommen der dort arbeitenden Personen. Neben Sintrofia gibt es einen Tischtennisclub, ein Kickboxtraining, einen Copyshop, eine linke Bibliothek mit kleinem Bücherladen und das Küchenkollektiv, das eine Gaststätte betreibt, womit quasi das ganze Mikropolis (Miete des Gebäudes, Strom, Wasser,..) inklusive der Löhne der Beschäftigten finanziert wird. In der großen Kneipe finden sehr oft Konzerte statt, in der Regel kostenfrei, wie auch das am späten Abend.

Die Aktivisten*innen treffen sich einmal wöchentlich zu einem Plenum, damit Beschlüsse basisdemokratisch getroffen werden können und das Netzwerk der solidarischen Bewegungen einen Treffpunkt hat. Auf einer Tour durch den Komplex, stellten wir fest, dass das von außen unscheinbar und klein wirkende Haus, das vollkommen ins Stadtbild eingearbeitet ist, von innen doch größer als gedacht ist. Wir konnten einiges Bestaunen, aber vor allem die immer wieder aufkommenden Parallelen zu unserer heimischen Spitzenfabrik oder zumindest mit dem Wunsch des hier entstehenden Zentrums. Doch besonders schön war die Unterhaltung mit den beiden sehr sympathischen Aktivist*innen.

Samstag, 30.09.2017

Um drei treffen wir uns vorm Falafelgeschäft unseres Vertrauens, um gemeinsam zum Mikro Dentro-Kindergarten aufzubrechen (erst stand der Vorschlag im Raum, dorthin zu laufen; wegen der unerwartet hohen Sonneneinstrahlung entschieden wir uns dann doch für Linie 37 und gegen einen einstündigen Marsch).

Dort angekommen, erwarten uns die sechs Lehrerinnen (denn es ist wohl eher so eine Mischung aus Kindergarten und Schule; ich nenne es mal Vorschule). Wir sitzen im Garten und es beginnt ein reger Austausch, denn zuerst wollen sie auch detailliert wissen, wer wir sind und was wir machen.

Ihre Idee für eine anti-autoritäre, libertäre Einrichtung entstand 2012 während eines Kinderferienlagers, in dem Eltern den Wunsch äußerten, ihre Kinder nicht auf dieselbe Schule schicken zu müssen, die sie selbst besuchten. Es wurde ein erstes Manifest ausgearbeitet, das grundsätzliche Punkte wie (Anti-)Sexismus, Sexualität, Unterrichtsmethodik etc. behandelte. Heute wird in regelmäßig stattfindenden Plena über das weitere Vorgehen gesprochen. Denn die Eltern sollen ihre Kinder nicht nur „parken“, sondern selbst partizipativ am Vorschulgeschehen beteiligt sein. Zurzeit kommen Kinder aus 14 Familien hierher und lernen mittels thematisch geordneten Bereichen/Räumen (praktisches Leben, Musik, Kunst, Mathematik,...) und z.B. Montessori-Materialien, „that they cannot do whatever they want but they can decide whatever they want to do.“ Wenn eine Familie das Geld für die Vorschule nicht aufbringen kann und ein Finanzloch entsteht, wird versucht, dieses mit dem Verkauf von selbstgebautem Spielzeug, Schulmaterialien und Spenden auszugleichen. Das Haus ist gemietet, der Garten jedoch besetzt (was die Miete erträglicher mache).

Obwohl Hunger und Kälte irgendwann anfangen, an uns zu nagen und einige zum schnellen Aufbruch drängen, gibt es bis zur Verabschiedung immer wieder einzelne Fragen zur politischen Lage oder anderen Themen; eine runde Sache, die sehr inspirierend war!

Es wird schon dunkel und wir machen uns auf, um im Apartment Chili sin carne zu kochen.

Sonntag, 01.10.2017

Endlich Strand. Doch unsere „strändliche“ Ruhe wurde teilweise von einer vorbeikommenden älteren, verwirrten und konservativen Dame gestört mit der sich einige unserer Leute unterhalten mussten. Sie begann nach kurzem Smalltalk auf den Kern ihres Anliegens zu kommen – nämlich der allgemeinen Wertevermittlung! Sie pflegte uns wortwörtlich zu sagen, dass Männer und Frauen keine Freunde sein können, sondern immer darauf aus sind eine Beziehung mit dem gegenüber anzufangen. Dazu kam, dass sie einen von uns als pervers und rüpelhaft beschrieb (aufgrund des bunten Irokesen-Schnitts) und sie sich nicht erklären konnte warum ein hübsches Mädchen mit so jemandem zusammen sein konnte. Vermutlich war er reich! Ja das war die Erklärung!

Nach diesem kleinen Intermezzo verkrümelte sich die Dame mit ihrem Ehemann und ihrer Freundin und der Tag am Strand neigte sich dem Ende. Wie auch langsam langsam unsere Reise.

Von der Gruppe Waterkant

 

1 Gefördert durch Mittel aus dem Sonderprogramm Griechenland des BMFSFJ.

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