Wonderland

Wald statt Asphalt! Eine Besetzung als Widerstand gegen Zerstörung und Ausbeutung

Wenn ihr mehr über die Hintergründe oder den aktuellen Zustand wissen oder die Proteste unterstützen möchtet, schaut auf Twitter (geht auch ohne Account), Instagram und unter #KeineA49, #Dannibleibt! #waldstattasphalt oder auf der Website des Danni

https://waldstattasphalt.blackblogs.org/ Unterstützung vor Ort und überregional ist immer möglich und gewünscht

Wald statt Asphalt!

Eine Besetzung als Widerstand gegen Zerstörung und Ausbeutung

 

Ein kleines Stückchen Wald. Wieder ein kleines bisschen weniger. Menschen sind gut darin, Dinge bis zum äußersten auszureizen, auszunutzen, aufzubrauchen oder - vielleicht etwas wirtschaftlicher betrachtet – auszubeuten. Keine Sorge, das hier wird kein verklärter, emotionaler Öko-Natur-Retter*innen-Aufschrei, sondern ein realistischer und eindrücklicher Blick auf das letzte bisschen unberührte Natur, die wir hier in Deutschland überhaupt noch haben: der Wald.

Von oben betrachtet scheint die Bundesrepublik recht grün und freundlich. Tatsächlich bedecken noch etwa ein Drittel der Gesamtfläche ein grünes Blätter- und Nadeldach, doch diese waldigen Flächen sind alles andere als natürlich. So traurig es auch klingt, in Deutschland gibt es seit Jahrhunderten weit und breit keine natürlichen (Ur-)Wälder mehr. Alles, was ihr hier um euch herum sehen könnt, sind aufgeforstete, geplante (Forst-)Wälder, von denen insgesamt 97,2% wirtschaftliche Flächen sind. Der Rest, nur etwa 2,8% der gesamten Waldfläche Deutschlands, sind geschützte Gebiete, die wirklich gar nicht mehr vom Menschen bearbeitet werden.

Trauriger Fakt: Ganz ehrgeizig setzte sich die Bundesregierung das Ziel, bis 2020 den Anteil von ungestörten Wäldern in Deutschland auf 5% zu erhöhen. Oh Mist, richtig, das wäre ja jetzt gewesen!

 

Szenewechsel

Es ist Herbst. Wir wandern, spielen und toben draußen im Wald. Um uns herum sind Blätterrauschen, Vogelrufe und Wind zu hören. Fast schon idyllisch ist das Grün und Braun und Rot um uns herum, bis du zum ersten Mal ein Surren und Kreischen, ein Brummen und Knacken aus der Ferne hörst. Kettensägen, Harvester und Rückefahrzeuge sind viel näher, als du dachtest. Wir sind in einem uralten Buchen-Eichen-Mischwald in Nordhessen, dem Dannenröder Forst, etwa 40 km nordöstlich von Gießen.

Auch dieser Wald wurde vor vielen Jahren einmal aufgeforstet, gehört mit bis zu 300 Jahre alten Eichen jedoch zu einem der seltenen, besonders schützenswerten und artenreichen Ökosystemen in Deutschland. Seit 40 Jahren ist hier der Ausbau der A49 als Verbindung von Kassel und Gießen geplant und damit die Rodung von knapp 100 ha Waldfläche.

Besonders schlimm trifft der geplante Ausbau das Gleental, ein überregional bedeutsames Trinkwasserschutzgebiet unter dem Dannenröder Wald. Die dortigen Brunnen versorgen rund eine halbe Million Menschen mit Trinkwasser. Nach aktuellem Planungsstand können weder das Umweltministerium noch die für die Bauplanung beauftragte Autobahngesellschaft den Schutz der Oberflächengewässer und des Grundwassers gewährleisten. Sogar die für das Trinkwasser zuständigen Behörden warnen vor den Folgen, denn nicht nur die tiefen Brückenpfeiler werden das Grundwasser verunreinigen, es können auch Schadstoffe von Verkehr und Unfällen in den Boden gelangen. Dass dabei außerdem hunderte Hektar Boden versiegelt und so die Neubildung von Grundwasser verhindert wird ändert jedoch leider an dem Bauvorhaben rein gar nichts.

 

Szenewechsel

Genauso lange wie die Planungsvorhaben für die Autobahn gibt es in und aus den umliegenden Orten Widerstand durch die Menschen vor Ort. Zahlreiche Klagen, Prüfungen und Proteste wurden in den letzten 30 Jahren von Umweltverbänden und Initiativen eingereicht und immer wieder abgewiesen. Der öffentliche Diskurs um die Rodung des Dannenröder Waldes ähnelt denen um den Erhalt des „Hambi“ 2018 (im BLATT 1/2019 kannst du mehr zum Widerstand im Hambacher Forst am Rande des Rheinischen Braunkohlereviers lesen). Und auch in den Gesprächen mit Menschen, die sich den Ausbau der Autobahn wünschen, höre ich immer wieder die gleichen Argumente:

„Wir müssen an unseren Wirtschaftsstandort denken!“ – „Wir brauchen endlich die Autobahn für eine schnellere Anbindung!“ – „ Es kann doch alles wieder woanders aufgeforstet werden.“

Mein Standpunkt hat sich kein Stück verändert: Eine sage und schreibe 20 Minuten schnellere Anbindung (mehr ist es nicht!), ein noch höheres Verkehrs- und Schwertransportaufkommen durch eine Autobahn, geschweige denn die Luft- und Lärmbelastung können nicht überzeugen. Davon abgesehen kann die Wasserspeicherung und CO2-Senke von 300 Jahre alten Bäumen nicht mit neugepflanzten jungen Bäumen verglichen werden, die vermutlich nicht einmal genug Wasser bekämen. Hier verschwindet wieder einmal Lebensraum für Wirtschaftsinteressen, keine*r will`s gewesen sein und Klimawandel gibt es nicht.

 

Nun gut, da die Landesregierung und Behörden weiter an dem Ausbau der A49 festhalten, ändert sich die Art des Widerstandes. Seit Herbst 2019 haben Menschen die für die Autobahn markierte Trasse im Dannenröder und angrenzenden Herrenwald (umbenannt in Herrenloser Wald) besetzt. Der Widerstand wächst, ist laut und stark und divers.

Überall in den umliegenden Dörfern gibt es Mahnwachen und viel Support aller Art, es gibt ein politisches Bündnis aus 30 unterschiedlichen Gruppen, welches Fahrrad-Demos, Waldspaziergänge und einiges mehr auf die Beine gestellt hat. Ob Infrastruktur, Versorgung, Protestcamps oder die unterschiedlichsten Materialspenden: Menschen allen Alters kommen von überall und unterstützen die Proteste mit viel Kraft und Kreativität gegen den Ausbau der Autobahn.

Mit Karten, Schildern und vielen hilfsbereiten und offenen Menschen findest du dich schon nach kurzer Zeit an dem Protestcamp und in dem Wald zurecht. Die Namen der Baumhausdörfer wie Unterwexs, Nirgendwo oder Zwischendurch können erst einmal verwirren, doch wenn du sie erst einmal besuchst, bleiben dir die wahnsinnig vielen, kunstvollen kleinen und riesig großen Bauwerke von Towern über Plattformen, Traversen, Brücken und Schaukeln im Kopf und du fragst dich, mit wie viel Kraft und Menschen solche Bauten überhaupt möglich sind.

Durch Schilder und Transparente fällt immer wieder auf, dass der Protest um den Wald nicht isoliert gesehen wird, sondern dass überregionale und internationale Kämpfe miteinander verbunden werden. Das zeigt sich auch in ganz Europa, denn seit Monaten gibt es dezentrale Aktionen, solidarische Besetzungen, Proteste und Demonstrationen aller Art und Größe in Verbindung mit der Besetzung im Dannenröder und Herrenlosen Wald gegen Umweltzerstörung und dem Verlust von Lebensraum.

Doch weder die große Öffentlichkeit noch die kleine Bechsteinfledermaus oder der Kammmolch konnten den Ausbau der A49 bislang verhindern. Seit dem 1. Oktober 2020 darf im Wald gerodet werden und einer um den anderen fallen kleine und große Bäume. Besetzte Baumhausdörfer, auch Barrios genannt, halten die Rodungen immer wieder auf. Ob Überall, Gegenüber oder Drüben, die Menschen in der Besetzung leisten den einzigen Widerstand, der neben Protest und kreativen Aktionen noch bleibt: mit dem eigenen Körper. Es ist ein ganz bewusstes und notwendiges Mittel, ein Ausdruck für die eigene Überzeugung und gegen die weiter voranschreitende Ausbeutung und Zerstörung, wenn Argumente und Diskussionen nicht mehr helfen. Noch schreiten die Harvester jeden Tag ein Stückchen mehr voran und Repressionsorgane versuchen kreative Aktionen und Aktivist*innen mit haltlosen und konstruierten Vorwürfen zu kriminalisieren, doch der Ruf nach einem Rodungsstopp bleibt bestehen.

Unreflektierte und verkürzte Hasskommentare aus der Gesellschaft versuchen, die Besetzung und Proteste zu delegitimieren, doch damit fördern sie, was ein aktiver Protest braucht: nämlich einen Erregungskorridor, einen öffentlichen Diskurs. Die Menschen im Danni und darüber hinaus fordern, dass Entscheidungen zugunsten der Wirtschaft und zum Nachteil von Menschen und Umwelt nicht weiter ignoriert oder hingenommen werden.

Dieser wie auch die vielen anderen Kämpfe für eine gerechtere und weniger zerstörerische Welt sind noch lange nicht zu Ende. Besucht die Proteste am Dannenröder Wald oder in eurer Nähe, werdet selbst kreativ, zeigt, dass es auch anders geht, aber vor allen Dingen: Bleibt stark und gesund!