Turbulente Jahre für den BDP

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Turbulente Jahre für den BDP

David Templin im Interview über die Jugendzentrumsbewegung und BDP-Verbandsgeschichte

 

Anfang der 1970er Jahre begannen Jugendliche in den verschiedensten Klein- und Großstädten eigene Räume einzufordern: Räume, in denen es keinen Konsumzwang und keine Aufsicht durch Erziehungsberechtigte gab. Unter dem Motto „Was wir wollen: Freizeit ohne Kontrollen“ kämpften sie für eine selbstbestimmte Freizeitgestaltung. Die Bewegung breitete sich rasch in ganz Westdeutschland aus und obwohl sie Ende der 70er verebbte, legte sie den Grundstein vieler heute bestehender Jugendzentren.



David Templin, Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, hat seine Doktorarbeit zu dieser bisher wissenschaftlich kaum bearbeiteten Geschichte der Jugendzentrumsbewegung geschrieben. Diese wurde nun veröffentlicht und obwohl er das Wort Jugendzentrum (JUZ) bald nicht mehr hören kann, konnte das BLATT ihn für ein Interview gewinnen. Denn auch der BDP spielte in der JUZ-Bewegung eine wichtige Rolle – oder eher die JUZ-Bewegung im BDP? Leider ist dieses Kapitel in der publizierten Arbeit dem Kürzungsdiktat zum Opfer gefallen, wie unser Rezensent Wolfgang (siehe Seite 28) feststellen musste. Umso wichtiger war es uns, hier nochmal genau nachzufragen.

BLATT: In den 1970er Jahren war ja viel los, weltweit, als auch in Deutschland. Es gab riesige Proteste der Anti-AKW- und der Friedensbewegung. Frauen, Schwule und Lesben kämpften öffentlich für ihre Rechte, und Studierende gegen alte Nazis in den Hörsälen. Was hat es mit der JUZ-Bewegung auf sich, was hast du während deiner Forschung herausgefunden?

David: Das wichtigste Ergebnis war, dass die JUZ-Bewegung diese gesellschaftlichen Umbrüche in die Provinz getragen hat. Also in den ländlichen Raum und in sogenannte „suburbane Räume“, das Umland der Großstädte. Die Jugendlichen schafften sich dort Räume für eine selbstbestimmte Freizeit, aber auch zum Austausch, für alternative Kultur und linke Politik.

Gab es denn vorher keine Jugendzentren?

Der Begriff kommt tatsächlich aus der Bewegung, früher hießen solche Orte Haus der Jugend oder Haus der offenen Tür. Aber offene Jugendarbeit gab es schon vor dem Nationalsozialismus. Nach dem Krieg wurde diese in den 1950er Jahren zunächst vor allem in den großen Städten wieder ins Leben gerufen. In den 1960er Jahren wurde die offene Jugendarbeit dann immer stärker ausgebaut. Aber in vielen Kleinstädten gab es außer Sportvereinen, Jugendfeuerwehr oder kirchlichen Zusammenhängen weiterhin keine offenen Räume für Jugendliche, um sich zu treffen. So taten sich Jugendliche zusammen und forderten Räume für eine „Freizeit ohne Kontrollen“ und nach eigener Struktur.

Und das hat so einfach geklappt?

Das ist sehr unterschiedlich. Eine Minderheit von Stadtvertreter_innen reagierte aufgeschlossen gegenüber den Initiativen. In Großstädten wurden selbstverwaltete Jugendzentren zum Teil als Modellprojekte gefördert, aber auch in Kleinstädten gab es Bürgermeister_innen, die etwas für „ihre Jugend“ tun wollten. Zumeist waren kleinere Ortschaften aber eher von einem konservativen Establishment geprägt, das in den aktiven Jugendlichen „Hascher“ und „Kommunist“ sah, deren wildes Treiben sie nicht noch mit Räumen und Geld unterstützen wollten.

Das hat ja mancherorts zu einer Politisierung geführt. Einige Gruppen haben dann auch einfach Häuser besetzt. Kannst du sagen, wie gut das alles auf Dauer funktioniert hat?

Laut damaligen Schätzungen waren rund 50 Prozent der Initiativen erfolgreich, viele von ihnen haben von der Stadt aber nur ein Provisorium bekommen. Manche dieser Zentren waren anfangs selbstverwaltet, wurden nach wenigen Jahren jedoch unter städtische Verwaltung gestellt, etwa wenn ein städtischer Neubau folgte. Das hing aber auch mit der inneren Struktur der JUZ-Bewegung zusammen. Die Zeit, die Jugendliche in der Bewegung verbrachten, begrenzte sich bei den meisten auf etwa fünf Jahre. An der Wende zu den 1980er Jahren waren dann viele Aktivist_innen aus dem Jugendalter herausgewachsen. Das ist bei anderen Themen, wie Anti-AKW oder Frauenrechten natürlich was anderes. Hier engagieren sich viele Menschen ja ein Leben lang.

Was hatte denn der BDP mit der JUZ-Bewegung zu tun?

Der BDP war Anfang der 1970er Jahre in einer besonderen und neuen Phase. Er hatte gerade die Abspaltung des BdP [Bund der Pfadfinder und Pfadfinderinnen] hinter sich und eine Entwicklung zu einem eher marxistischen* Jugendverband vollzogen. Der BDP war zu der Zeit stark geprägt von den Debatten der Neuen Linken* und setzte seinen Fokus auf Lehrlinge (Azubis), die als Teil der „Arbeiterklasse“ galten, aber auch auf unabhängige Schüler_innen-Gruppen. Anfangs stand der BDP der JUZ-Bewegung skeptisch gegenüber: Deren Fokus auf die Freizeit wurde als Rückschritt gedeutet, als „Flucht in die Freizeit“. Stattdessen sollten sich die Jugendlichen doch lieber auf die sogenannten „Existenzbereiche“ Schule, Ausbildung, Stadtteile und Erwerbsarbeit konzentrieren, um eines Tages den Kapitalismus zu überwinden. Trotz dieser Skepsis brachte sich der BDP in die entstehende Bewegung ein. Praktisch hieß das: Seminare anzubieten, Vernetzung zu unterstützen und einen Austausch zwischen den Zentren und dem Verband herzustellen.

Im Zuge dessen veränderte sich der BDP erneut. Das ursprüngliche Ziel, die JUZ-Bewegung in sozialistischem Sinne zu beeinflussen, war nicht wirklich erfolgreich. Stattdessen veränderte die Bewegung den Verband, denn viele neue Mitglieder des BDP kamen aus den neuen Jugendzentren – auch wenn der BDP sich öfters beklagte, dass er in den Zentren relativ unbekannt geblieben sei. Die neuen Mitglieder nutzten den BDP quasi als „Dienstleister der Bewegung“, der Ressourcen zur Verfügung stellen und durch eine bestehende Organisationsstruktur die Koordinierung der JUZ-Bewegung unterstützen konnte. So wurde im Laufe der 1970er Jahre aus dem eher marxistisch orientierten Verband ein Jugendverband, der stark auf Selbstorganisation setzte und ein eher diffus linksalternatives Milieu ansprach.

Das klingt ja nach turbulenten Jahren für den BDP.

Das kann man so sagen. Es gab sogar eine Fraktion in Hessen, die zum Teil ebenfalls über die JUZ-Bewegung zum BDP gefunden hatte, die sich gegen diese Entwicklung wehrte. Sie schlossen sich im Laufe der Jahre einer Splittergruppe an, die maoistische* mit rechten und nationalistischen Ideen verknüpfte, was intern zu großen Konflikten führte. Am Ende wurde diese Fraktion ausgeschlossen. Am BDP lassen sich insofern sehr gut allgemeine Entwicklungen, aber auch Verirrungen der Neuen Linken im Westdeutschland der 1970er Jahre ablesen. Mein Eindruck war, dass all dies auch Ausdruck einer Identitätssuche des Verbandes war – zu einem Zeitpunkt, an dem man sich selbst nicht mehr als klassische Pfadfinder_innen verstand.

All das gilt aber natürlich nicht für alle Regionen. In Baden-Württemberg zum Beispiel hatte die JUZ-Bewegung kaum etwas mit dem BDP zu tun, dafür war der BDP in Hessen und Bremen/Niedersachsen sehr stark in die JUZ-Bewegung involviert.

Was ist heute denn noch übrig von der JUZ-Bewegung?

Die JUZ-Bewegung ist kein abgeschlossenes Kapitel. Mindestens 35 der Jugendzentren aus den 1970er Jahren sind noch immer selbstverwaltet. Viele Zentren haben sich, zwar unter prekären Verhältnissen und in instabilen Konstellationen, längerfristig etablieren können und bestehen nun schon über Generationen hinweg. Insbesondere der Generationswechsel erwies sich jedoch vielfach als kritische Phase, weil die erste Generation das JUZ noch erkämpft hatte, während die nachfolgenden in der Regel „nur“ als Nutzer_innen kamen. Und natürlich wurde damals der autoritäre Überhang in den städtischen Jugendeinrichtungen gebrochen, und Mitspracherechte der Jugendlichen gestärkt.

Und auch wenn man heute nicht mehr von einer Bewegung sprechen kann, sondern eher von einem weiter bestehenden Nischenphänomen, hat es auch in den 2000er Jahren immer wieder Jugendinitiativen gegeben, die Räume eingefordert und neu geschaffen haben.

Vielen Dank für die vielen Infos. Das Thema ist für uns sehr spannend, und deswegen freuen wir uns, dass du auch auf der kommenden Bundesdelegiertenversammlung vom 23. bis 25. September in Bremen dabei sein wirst und alle Besucher_innen dich dort noch weiter fragen können! Bis dahin!

 

Interview: Tabea und Anne

 

* Was ist eigentlich...

… die Neue Linke?

Die Neue Linke ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl an linken Gruppen, die in den 1960er und 70er Jahren in Westeuropa entstanden sind. Trotz ihrer unterschiedlichen Schwerpunkte, wollten alle Gruppen die bestehenden Verhältnisse ändern, lehnten jedoch die damalige parlamentarische Realpolitik ab. Dennoch entstand daraus zum Beispiel die Partei „Die Grünen“, aber auch die terroristische Organisation RAF.

 

… Marxismus?

In der Neuen Linken wurden die Schriften von Karl Marx (1818 bis 1883) wiederentdeckt. Hierbei gibt es allerdings einen Unterschied zwischen der Marx'sche Lehre und dem Marxismus. Erstere beruhend auf den Werken „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ und „Das Kapital“ von Marx und beinhaltet eine sehr detaillierte Analyse des Kapitalismus und Kritik daran. Anhänger_innen des Marxismus wollen einen Schritt weiter gehen, nämlich die Revolution gezielt organisieren. Die Marxist_innen der Neuen Linken wollten dafür Hierarchie und Kader, wie in der Sowjet-Union unter Lenin und Stalin einführen. Dort nämlich fand im Zuge des Realsozialismus nicht nur konkrete Umverteilung des Besitzes statt, sondern es herrschte auch ein großer Personenkult und Verfolgung Andersdenkender. Ganz so weit wollten Marxist_innen in Westdeutschland vielleicht nicht gehen, doch kann man ihnen rückblickend einen gewissen Dogmatismus (Wahrheitsanspruch und Kompromisslosigkeit) nachsagen.

 

… Maoismus?

Mao Tse-tung (1893 bis 1976), lange Zeit Vorsitzender der Kommunistischen Partei in China. Man sagt, in seiner Theorie verbinden sich Ideen des Marxismus mit chinesischer Philosophie. Nach Mao bilden die Bäuer_innen anstelle der Arbeiter_innen die Hauptkraft der Revolution und diese sei eher über Guerilla-Aktivitäten zu erreichen als durch klassische Aufstände. Mao zeichnete sich durch eine extreme Geringschätzung theoretischer und fachlicher Kompetenz aus, was u.a. während der sogenannten Kulturrevolution in China und auch später in Kambodscha zu Millionen Todesopfern führte, unter ihnen viele Intellektuelle.