Solange es Spaß macht
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Solange es Spaß macht
Vom Sinn und Unsinn von Verschwörungstheorien
Der Ausbruch einer Masern-Epidemie in Berlin im Frühjahr 2015 zeigt, dass es sich auch für den BDP als Kinder- und Jugendverband lohnt, sich mit Verschwörungstheorien auseinanderzusetzen. Denn hinter diesem Phänomen stehen Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, da sie an eine Verschwörung der Pharmaindustrie glauben. So lustig einige Verschwörungstheorien sein mögen, an so mancher Ecke macht es keinen Spaß mehr. Im BLATT haben wir daher die wichtigsten Felder von Verschwörungstheorien und ihre Wirkungsweisen für euch in einem Überblick zusammengefasst.
Es gibt unglaublich viele Geschichten über die Vorgänge in dieser Welt. Zum Beispiel, dass die erste US-Mondlandung von 1969 erfunden wurde, um der damaligen Sowjetunion einen technischen Vorsprung vorzugaukeln. Oder dass die Kondensstreifen hinter Flugzeugen in Wahrheit so genannte Chemtrails seien, die Mensch und Tier langsam vergiften sollen und das Wetter nachhaltig beeinflussen. Und schließlich soll hinter jedem Medikament, Impfstoff, ja sogar hinter jeder Krankheit die eine, globale Pharmaindustrie stecken, die den Mensch erst krank mache, um ihm dann das Geld mit Medikamenten und Impfstoffen aus der Tasche zu ziehen. Darüber nachgedacht haben vielleicht schon einige, andere schmunzeln, wenn sie von solchen Verschwörungstheorien hören. Und immer mehr Menschen glauben wirklich daran.
All diesen Geschichten gemeinsam ist die Idee einer Verschwörung hinter dem Sichtbaren. Irgendeine Gruppe oder Institution ziehe im Hintergrund die Fäden und manipuliere erfolgreich den Rest der Welt. Kriege, Politik, Wirtschaft, Klima und nicht zuletzt die Medien würden von ihr gesteuert. Solche Geschichten werden auch gerne in Filmen oder Büchern verarbeitet. Serien wie House of Cards lassen uns hinter die vermeintlichen Kulissen des Weißen Hauses in Washington schauen. Der Mythos um die Illuminati füllt immer wieder Kinos und Buchläden. In Filmen wie Matrix wird eine phantastische Welt erzeugt, in der Menschen nur glauben zu leben, aber eigentlich als Nahrung für eine künstliche Intelligenz dienen.
Solange es Spaß macht.
Es gibt Menschen, die sich berufen fühlen, solche Geschichten oder Verschwörungen missionarisch aufzudecken. Sie nennen sich selbst meist nicht Verschwörungstheoretiker*in, sondern Beobachter*in, Aufklärer*in im Auftrag der Gesellschaft oder des einfachen Volkes. Sie posten ihre Kommentare im Netz, haben Blogs und Youtube-Kanäle, geben Seminare oder bringen Bücher auf den Markt, immer mit dem Ziel, die vermeintliche Wahrheit aufzuzeigen.
Das Dilemma von Verschwörungstheorien ist, dass sie nicht beweisbar sind. Sie sind eine Mischung aus Legende und Vorurteilen. Wenn es Beweise gegen die Verschwörungen gibt, werden sie mit dem Argument widerlegt, dass die Beweise manipuliert seien. Wenn dann doch ein realer Skandal aufgedeckt wird, wie die flächendeckende Abhörung durch die NSA, ist das der Existenzbeweis für alle anderen Verschwörungen. Oder es werden gleich weitere Geschichten daraus abgeleitet, wie etwa, dass Edward Snowden gar nicht existiere.
Das Thema Verschwörungstheorie ist längst kein Randthema mehr und wird zunehmend auch als Forschungsgegenstand ernster genommen. Besonders im Bereich der Psychologie wird das Phänomen nicht mehr als Hirngespinst belächelt, sondern als soziale Überzeugung angesehen. Die Psycholog*innen Viren Swami und Rebecca Coles von der britischen Universität Kent haben schon 2010 Ursachen für den Glauben an Verschwörungstheorien untersucht. Sie kamen zu dem Schluss, dass Menschen eher empfänglich für Verschwörungstheorien sind, wenn sie sich „machtlos, benachteiligt oder sprachlos fühlen, besonders angesichts einer Katastrophe“. Meist fängt es nicht mit dem Glauben an Chemtrails an, sondern vielmehr mit persönlichen oder gesellschaftlichen Ereignissen, die enorm verunsichern. Auf der Suche nach Antworten begegnen einem schnell die selbsternannten Beobachter*innen – besonders, wenn zum Gefühl der Machtlosigkeit noch der Glaube an etwas Höheres (Religiosität, Esoterik) hinzukommt. Die vorherrschende (Medien-)Meinung genügt dann nicht mehr oder wirft eher noch mehr Fragen auf. So hat sich der Begriff Lügenpresse mittlerweile etabliert und begleitet fast jeden Online-Artikel in Form von kritisierenden oder angreifenden Leser*innen-Kommentaren. So ergab eine vom Stern beauftragte Forsa-Umfrage im Oktober 2015, dass 44 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, „die von oben gesteuerten Medien verbreiten nur geschönte und unzutreffende Meldungen“.
Die Kritik kommt nicht von ungefähr. Ganz konkrete Konflikte haben zur Glaubwürdigkeitskrise der Presse beigetragen. In einer Umfrage des ZDF-Magazins ZAPP im Dezember 2014 gaben 63 Prozent der Befragten an, dass sie „wenig oder gar kein Vertrauen in die Ukraine-Berichterstattung“ haben. Als Ende 2013 die Maidan-Bewegung in Kiew begann, wurde in den Mainstream-Medien über eine pro-europäische Bewegung berichtet, die demokratische Reformen fordere. Als sich Russland militärisch einmischte, zeigte das vorherrschende Medienbild zum einen das böse Russland, zum anderen die gute Ukraine. Erst Monate später gab es Berichte darüber, dass sich innerhalb der ukrainischen Bewegung auch faschistische Gruppen befanden.
Auch im Kontext der aktuellen Geflüchtetensituation wird in den Mainstream-Medien das Bild von Gut gegen Böse gezeichnet. Das helle Deutschland, das die Flüchtlinge willkommen heißt, gegen das dunkle Deutschland, das sie nicht willkommen heißt. Damit wird jeder Anflug von Angst oder Kritik daran in die dunkle Ecke gestellt. Statt öffentlich darüber nachzudenken, was diese Ängste mit Rassismus zu tun haben und wie man das auflösen kann, fühlt sich der panische Teil der Bevölkerung mundtot gemacht und empört sich. Sichtbar wird die Empörung unter Anderem zunehmend auf Pegida-Veranstaltungen, wo Pressemitarbeiter*innen mit Beschimpfungen als Lügenpresse unter Applaus zusammengeschlagen werden. Oder auf Kundgebungen der selbst ernannten besorgten Eltern, die hinter dem Sexualunterricht in der Schule eine Verschwörung vermuten, die ihre Kinder homosexuell werden lassen soll.
Verschwörungstheorien bieten nach aktuellem Forschungsstand einen großen Vorteil: eindeutige Antworten. Und noch mehr – sie geben den Antworten Gesichter. Es ist einfacher, einer bestimmten Gruppe die Schuld an allem zu geben.
Hier hört der Spaß definitiv auf.
Wenn man nur etwas tiefer in den vermeintlich alternativen Medienportalen nach Verschwörungen gräbt, begegnet einem am Ende fast jeder Verschwörung, die angeblich wahre Gruppe die hinter allem stecke: die Jüd*innen. Immer wieder mit demselben Vorurteil, als die reichsten Menschen weltweit, würden sie sowieso schon seit Jahrhunderten die Weltherrschaft planen. Es ist erschreckend, wie viele Theorien in diesen blanken Antisemitismus münden. Diese Verschwörungstheorie basiert unter anderem auf dem antisemitischen Pamphlet „die Protokolle der Weisen in Zion“, welches um 1900 von unbekannten Autor*innen verfasst wurde. Die Protokolle sollen ein Treffen von jüdischen Weltverschwörer*innen dokumentiert haben, das nie stattgefunden hat. Dennoch verbreiteten sich die Protokolle besonders nach dem Ersten Weltkrieg international. 1921 und nochmals 1933 wurde der Text als Fälschung entlarvt, doch die Verschwörungstheorie hält sich bis heute hartnäckig.
Wiederum zum Schmunzeln ist die Verschwörungstheorie, dass die Erde hohl sei und Hitler heute noch im Inneren leben würde. Von dort aus plane er die Rückkehr seiner Gefolgsleute, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit Flugscheiben auf die dunkle Seite des Mondes geflüchtet seien.
Wieder andere Theorien ranken sich um die Bilderberg-Konferenz, die mit hochrangigen Vertreter*innen aus Wirtschaft, Politik und Medien dieses Jahr in Dresden stattfand. Die Geheimnistuerei um die einzelnen Teilnehmenden schürt die Verschwörungstheorie, dass sie das Weltgeschehen steuern würde – wie die Öl-Krise in den 1970er Jahren oder die Präsidentschaft von Bill Clinton 1992. Die durchgesickerten Aussagen von Teilnehmenden, dass dort keine Entscheidungen getroffen werden, sondern einfach ein informeller Rahmen gewahrt werden soll, stößt bei Verschwörungstheoretiker*innen auf taube Ohren.
Der Journalist und Buchautor Tobias Jaecker, der auch als Referent für Antisemitismus, Antiamerikanismus und Verschwörungstheorie auftritt, meint, dass mit den Verschwörungstheorien „vielen Menschen das gute Gefühl gegeben wird, die Zusammenhänge zu durchschauen“, was in der Psychologie als ein Grundbedürfnis des Menschen betrachtet wird. Bei Verschwörungstheorien steht allerdings die zentrale Frage schon vorher fest: „Wem nützt es?“. Aktuell steht, neben und mit den Jüd*innen, die USA als Strippenzieherin hinter allem Übel hoch im Kurs.
Wenn die Antwort schon feststeht, kann alles zur Verschwörungstheorie umgedeutet werden, ohne einem Beweis standhalten zu müssen. Zu den Angriffen vom 11. September beispielsweise kursieren im Internet hunderte sogenannter Beweise, dass die USA selber dahinter stecke. 2012 äußerten 38 Prozent der unter 39-Jährigen in einer Umfrage des ZDF, dass sie an eine Beteiligung der US-Regierung an den Terrorangriffen vom 11. September glaubten. „Zur Aufklärung oder gar zu einer Verbesserung der Verhältnisse tragen diese Theorien nichts bei. Sie schüren Ressentiments und bedienen Feindbilder - das macht sie so gefährlich“, so Jaecker.
Weitere Psycholog*innen der Uni Kent haben in Studien von 2013 auch herausgefunden, dass Menschen, wenn sie erst mal an eine Verschwörungstheorie glauben, empfänglicher sind für weitere. Selbst wenn sie sich untereinander widersprechen. So glauben Anhänger*innen daran, dass Osama Bin-Laden schon vor der offiziellen Bekanntgabe tot war und gleichzeitig daran, dass er noch lebt. Beides bedient das gleiche Feindbild: Die USA, die alles verschleiert und sowieso nur lügen würde. Es geht also viel eher um den Glauben an eine andere Antwort, als um die Antwort an sich. Das macht es so schwer zu diskutieren. Das Internet dient dabei als Plattform, durch das sich die angeblich wahren Antworten rasend schnell verbreiten, egal ob richtig oder falsch. Fakten werden verdreht und für die Verschwörungstheorie benutzt. So dient die offizielle Sterberate durch Impfungen dem vermeintlichen Beweis, dass diese schädlich seien und tausende Laien verbreiten ihre Erfahrungen mit angeblichen Impfschäden. Dass heutzutage eine Masernepidemie mehr Todesfälle fordert, weil sich eine Krankheit exponentiell ausbreitet, wenn sie schon jahrelang eingedämmt war, wird dabei außer Acht gelassen. Schuld ist ja jemand anderes.
Von Esther