"Sebst die Pfadis schottern"

BLATT 1-2017 S. 4 | EINBLICK

„Selbst die Pfadis schottern“

Im Gespräch mit dem ehemaligen Bundesvorstand Thorsten Hellert

Was bewegt junge Menschen eigentlich dazu, Teil des BDP Bundesvorstands zu werden? Ist das so groß und kompliziert, wie es manchmal klingt? Was bedeutet diese Arbeit eigentlich und woher weiß ich, ob das überhaupt etwas für mich ist? Um das herauszufinden, sind wir im April nach Hamburg gefahren, um den ehemalisgen Bundesvorstand Thorsten H. zu besuchen und ihn über seine Entwicklung im BDP auszufragen.

Alles begann, als er mit 17 Jahren anfing, beim BDP in Babenhausen mitzumachen. Später wurde er erst Delegierter für seine Ortsgruppe, dann für den Landesverband Hessen auf der Bundesdelegiertenversammlung (BDV). Das Diskutieren und das Mitentscheiden – das hat ihn gereizt. „Ich glaube, ich habe viel vom LV Hessen gelernt“, meint Thorsten. „Dort sind die meisten Leute eher liberal oder links. Und doch irgendwie alle unterschiedlich. Das wollte ich auch auf bundesweiter Ebene vertreten.“ Ein weiterer wichtiger Grund dafür, weshalb er sich ab 2008 für den Bundesvorstand aufstellen ließ, war die große Menge Gestaltungsmöglichkeiten.

Er genoss es sehr, dass er durchs Land reisen und sich inhaltlich mit den Themen des BDPs auseinander setzen konnte. Zudem war es ihm wichtig, linke Positionen im Bundesvorstand zu vertreten. Denn man kommt als „BuVo“ ganz schön herum, wenn man sich mal hier und mal dort zum Austausch trifft: neue Orte, neue Gesichter und immer wieder neue Ansichten, Weltverbesserungsvorschläge und Motivationen. Natürlich kommt mit dieser Arbeit auch die Verantwortung, die verschiedenen Menschen innerhalb des BDPs fair zu vertreten und zu verstehen. Aber das war für Thorsten ein umso stärkerer Anreiz, die Sache durchzuziehen. Er schloss Freundschaften mit den Menschen in der Bundeszentrale und wollte Solidarität zeigen, Rückenwind und Unterstützung liefern, damit neue und wichtige Projekte erfolgreich umgesetzt werden konnten. „Ich wollte mit gutem Beispiel voran gehen und anstatt immer wieder zu meckern, auch mal die Sache voranbringen und mit anpacken“, sagt Thorsten.

So entschloss er sich zum Beispiel im Jahr 2010, bei der Aktion Castor Schottern (siehe Infokasten) mitzumachen. „Das war als politische Aktion einfach echt richtig toll. Später landeten wir dann sogar auf der Titelseite der Frankfurter Rundschau, darüber hab ich mich so sehr gefreut! Wir waren eine kleine Gruppe in der Masse, aber wir hatten Signalwirkung.“ Tja, 'selbst die Pfadfinder schottern'...

„Das Geniale am Schottern ist, das es mehr oder weniger massentauglich ist. Es besteht keine Gefahr, dass Leute zu Schaden kommen. Und es ist eine gute Sache, wenn wir die Grenze des gesellschaftlich Akzeptablen verschieben können, und so mehr Menschen zum Protestieren ermutigen.“ Ein großer Erfolg, bei dem der BDP eine Brücke bauen konnte. Um auch konservativeren Menschen zu zeigen, dass beispielsweise ein Protest gegen Atommüll nichts mit Terrorismus oder Extremismus zu tun hat. Aber auch innerhalb des BDP gab es eine hitzige Diskussion darum, ob der BDP als Verband diese Proteste offiziell unterstützen könne. Viele Menschen im BDP fürchteten, dass ein solches Handeln das positive Bild des Jugendverbandes zerstören könnte.

Besonders in diesem aktivistischen Aspekt des BDP konnte Thorsten sich wiederfinden: Unterschriften sammeln, um gegen die Studienbeiträge zu protestieren, Texte schreiben, Stellung nehmen, Einladungen und Aufrufe zu politischen Aktionen formulieren, Städtereisen mit antifaschistischer Motivation auf die Beine stellen. „Wir haben im BDP so viel zu bieten. Wir haben Ahnung von Camps und können Infrastrukturen aufbauen und Ressourcen beitragen.“ Es gibt verschiedenste Aktionen, die für Gruppen wie den BDP anschlussfähig sein können und Unterstützung durch einen großen Verband ist ein stabiler Baustein für politische Veranstaltungen.

„Mir ist wichtig, dass besonders junge Menschen im BDP eine Stimme haben. Und das ist zum Glück auch so in unseren Strukturen verankert. Dieses Recht sollten wir stets verteidigen können. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten politisch zu sein. Die neue Safer Sex-Box oder auch das Awareness-Streben – das ist fast noch viel politischer, als eine Demo. Das ist eine Sache die total nachhaltig und weitreichend ist. Politisch sein bedeutet doch, Ansätze zu liefern und gesellschaftliche Grenzen und Strukturen aufzubrechen! “ So divers der BDP in seiner ganzen Breite auch ist, diesen allgemeinen spirit sieht Thorsten an fast allen Ecken im Verband. Auf dieser Ebene war Thorsten immer begeistert vom BDP, denn er hat bei Veranstaltungen eine Atmosphäre erlebt, die Kindern und Jugendlichen erlaubt selbstständig zu sein und ihnen die Freiheit eröffnet, eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln.

Ganz unabhängig von seinen Ämtern hat er im BDP mehr gelernt, als jemals in irgendeiner Schule. „Hätte ich die Hauptamtlichen nicht so cool gefunden, wäre ich vielleicht nie so am BDP hängengeblieben. Von ihnen habe ich sehr viel gelernt, und sie haben mich nicht zurecht gebogen – sie haben mich akzeptiert wie ich bin und mich meine eigenen Schlüsse ziehen lassen. Ich habe gelernt, wie ich gut mit Menschen umgehe. Und, dass man auch nach 50 Jahren auf dieser Welt noch ein Leben abseits von Bürojob, Familie, Reihenhaus leben kann. Für viele Menschen ist dieses Konzept so selbstverständlich, wie der Sonnenaufgang.“ Auch er hatte während seiner Kindheit genau diese Zukunft vor Augen. Als er dann aber in den BDP kam und neue Menschen kennenlernte, bei denen er andere Lebensweisen beobachten konnte, eröffneten sich neue Perspektiven.

Unser Gespräch hat in Thorsten viele wertvolle Erinnerungen hervorgerufen. All die gesellschaftlichen Abenteuer, die lebensprägenden Erfahrungen und die großartigen Freundschaften, die er im BDP gewonnen hat, sind letztendlich die größte Belohnung für die Zeit und Energie, die er investiert hat. Da können wir beide ihm nur zustimmen.

 

Infokasten:

 

Was ist eigentlich... Schottern?

Schottern ist eine politische Protestform die sich mit der Anti-Atomkraft-Bewegung entwickelt hat. Dabei werden die Steine unter den Bahnschienen mit Schaufeln oder den eigenen Füßen beiseite geräumt. So wird der Castortransport aufgehalten. Dabei geht es nicht darum, den Zug entgleisen zu lassen, sondern den Transport zu erschweren oder gar zu verhinden. Diese Sabotage führt außerdem dazu, dass die Öffentlichkeit auf die Probleme der Atomenergie aufmerksam gemacht wird.

 

Wie werde ich eigentlich... Bundesvorstand?

Die vier Bundesvorstände werden alle zwei Jahre auf der Bundesdelegiertenversammlung von den Delegierten aus den BDP-Landesverbänden gewählt. Gemeinsam entscheiden sie bei regelmäßigen Vorstandssitzungen, teilweise zusammen mit der Bundeszentrale, welche Projekte sie in den kommenden Jahren angehen wollen. Das sind Bundescamps, politische Statements, Fachtage oder eben größere Aktionen. Neben einer Bahncard und einem guten Punkt im Lebenslauf, lernt man hier jedoch vor allem wichtige skills fürs Leben: Von der Organisation jugendpolitischer Kampagnen über die Moderation von Gremien bis zu Methoden der außerschulischen Bildung. Es hängt von dir ab!

Die nächste Wahl findet auf der BDV vom 15.-17. September 2017 statt. Wenn du Interesse oder Fragen hast, melde dich gerne bei bundesverband[at]bdp.org