Rezension
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Rezension:
Was wir wollen - „Freizeit ohne Kontrollen“
Die Jugendzentrumsbewegung in der Bundesrepublik der 1970er Jahre
Als ich das Buch in den Händen hielt - 943 Gramm schwer, 672 Seiten Umfang - dachte ich, das schaffe ich nie bis zum Abgabetermin. Da komme ich so schnell nicht durch. Ich gebe zu, nicht alles gelesen zu haben, habe mir aber fest vorgenommen das noch nachzuholen.
David Templin (siehe auch das Interview mit ihm auf Seite 20) liefert mit diesem Buch einen wichtigen Beitrag über eine fast vergessene Bewegung, der über tausend Gruppen zuzurechnen waren und durch die wiederum tausende Jugendliche politisiert wurden. Auch Teile des BDP, wie zum Beispiel der Landesverband Hessen, wurden in diesen Jahren von der Jugendzentrumsbewegung mitgeprägt. Dies hat meines Erachtens in dem Buch nicht genug Beachtung gefunden.
Der Autor beschreibt Ausbreitung, Hochphase und Niedergang der Jugendzentrumsbewegung.
Geforscht wurde in Stadtarchiven, es wurden Zeitzeug*innen befragt, graue Literatur ausgewertet, Publikationen und Fachliteratur herangezogen. Unterlegt mit vielen Beispielen und Zitaten werden die unterschiedlichen Hintergründe und Wege der JUZ-Intiativen, von Flensburg bis Garmisch, aufgezeigt.
Anknüpfend an die Schüler*innen- und Lehrlingsbewegung bildeten sich Anfang der 1970er Jahre zahlreiche Initiativen zur Einrichtung von Jugendzentren oder Jugendclubs. Gemeinsam war allen die Unzufriedenheit mit der örtlichen Freizeitsituation. Selbstverwaltung und Selbstorganisation waren die zentralen Forderungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Jugendzentrumsbewegung entfaltete sich in den 1970er Jahren als eine der neuen sozialen Bewegungen neben Friedens- und Umweltbewegung und weiteren. In dieser Zeit entstand auch eine Reihe von Publikationen und Zeitungen die sich kritisch mit der Freizeit- und Lebenssituation unter kapitalistischen Bedingungen auseinandersetzten und so eine Gegenöffentlichkeit zu den herkömmlichen Medien bildeten.
Der Autor spannt einen Bogen von der Entstehungsgeschichte vieler Initiativen und der Jugendzentrumsbewegung als „ländlich-kleinstädtische Bewegung“. Ein wichtiges Stichwort ist hier Provinzarbeit. Dies bedeutete eine positive Wendung und Aneignung des Begriffs Provinz. Man entfernte sich von der Gleichsetzung des Begriffs mit Kleinstadtmief und Rückständigkeit. Provinzarbeit galt nun als Kampfbegriff für bessere Freizeitmöglichkeiten, Lebens- und Alltagsbedingungen, Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung. Auf die Rolle von Sozialarbeiter*innen und die sich aus deren Arbeit ergebenden Konflikte – einerseits Parteiergreifen für die Jugendlichen, andererseits Verpflichtungen gegenüber dem kommunalen Arbeitgebenden – wird in dem Band ebenso eingegangen, wie auf die Bedeutung pädagogischer Konzepte von antikapitalistischer und emanzipatorischer Jugend- und Bildungsarbeit.
Damals versuchte man einer Vereinzelung man durch die Bildung verschiedener regionaler Zusammenschlüsse, sogenannten Koordinationsbüros, und bundesweiter Vernetzung, entgegenzuwirken. Im Laufe der 1980er Jahre ebbte die Bewegung ab, beziehungsweise hörte auf zu existieren. Dies hatte die unterschiedlichsten Gründe. Auf dem Weg „zwischen Scheitern und Institutionalisierung“ erschöpften sich die Aktivist*innen in Kämpfen um die Selbstverwaltung und deren Torpedierung durch die Kommunalpolitik. Eine nicht unerhebliche Rolle spielte sicher auch der Spagat im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Realität oder Konflikten und Kooperation. Als weitere Gründe werden allgemeine Resignation und Ermüdung der Aktivist*innen beziehungsweise deren Hinwendung zu anderen Aktionsfeldern wie der Anti-AKW-Bewegung genannt. An vielen Orten kam es auch zu Schließung des Jugendhauses oder Kommunalisierung, einhergehend mit einer starken Pädagogisierung unter Beseitigung der Selbstverwaltung.
Wie eingangs schon erwähnt kommt mir in Templins Arbeit der BDP zu kurz. Dies kann aber auch an meiner subjektiven Sichtweise liegen, war die Lektüre doch auch ein Abtauchen in vergangene Zeiten, die die Ereignisse stellenweise in einem anderen Licht erscheinen lassen. Und auf der einen oder anderen Seite blitzt der BDP dann doch durch. So zum Beispiel bei den Interviewpartner*innen, in der Literaturliste und den Fußnoten.
Für eine wissenschaftliche Abhandlung ist das Werk gut lesbar. Eine gewisse Ausdauer ist aber unerlässlich. Quellenverzeichnis, Literaturliste, Register und Abkürzungsverzeichnis füllen alleine 49 Seiten. An Abkürzungen werden 116 (hoffentlich hab ich mich nicht verzählt) aufgeführt von „ABM“ über „BDP“ zu „KPD/ML“ bis „ZDL“. Somit ist die Liste länger als die Sammlungen die bei verschiedenen Bundesdelegiertenversammlungen des BDP verteilt werden. Das Buch kostet 46 Euro. Bedenkt man, dass das circa sieben Cent pro Seite sind, relativiert sich das schon wieder
Von Wolfgang
Leseempfehlungen:
David Templin: Freizeit ohne Kontrollen. Die Jugendzentrumsbewegung in der Bundesrepublik der 1970er Jahre | Wallstein Verlag | 2015 | 46,00 EUR | ISBN: 978-3835317093
Träume, Hoffnungen, Kämpfe… Ein Lesebuch zur Jugendzentrumsbewegung | Verlag Jugend und Politik | 1977| Zu beziehen über den Keller der Bundeszentrale oder in Regalen diverser BDP-Gruppen.
Exkurs:
Ohne die Kontakte des JUZ zum BDP gäbe es den BDP Groß-Umstadt nicht. Dessen Jugendliche halten nach wie vor das Fähnchen der Selbstverwaltung in den Wind und widerlegen landauf, landab die bei kommunal Verantwortlichen verbreitete Auffassung, Selbstverwaltung sei von Jugendlichen nicht mehr gewünscht.