Reiseerfahrungen

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BLATT 1-2017 S. 10 | THEMA

Reiseerfahrungen

die bekanntesten Vorteile Europas mal ganz alltags-praktisch

Das Reisen innerhalb Europas hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Grenzkontrollen fielen weg und eine gemeinsame Währung vereinfachte viele Prozesse, die früher bei jedem Länderwechsel zu Problemen führen konnten. Doch wie fühlt sich die neue Freiheit wirklich an und war das früher wirklich schlimm? Zwei Erfahrungsberichte von reisefreudigen BDPler_innen geben einen Eindruck.

 

Europa-Marathon

„Wie oft sehen sie sich in ihrer Heimat und waren sie während ihres Aufenthalts je voneinander getrennt?“ Eine Frau mit Uniform stellt uns während eines Sicherheitsgesprächs mitunter sehr private Fragen. Ich fühle mich ein bisschen in die Ecke gedrängt, obwohl wir nichts verbrochen haben. Aber für Israel ist die Sicherheit am Flughafen von Tel Aviv der wichtigste Aspekt, das merken wir schnell. Nach dem Securitycheck kaufe ich im Duty-Free-Store noch ein Souvenir, das habe ich vorher mal wieder vergessen. Im Geschäft kann ich in Euro zahlen. Für mein Wechselgeld muss ich mich hingegen zwischen der Landeswährung und amerikanischen Dollars entscheiden – Lustig! Auch mein erstes amerikanisches Souvenir erhalte ich so in Israel.

In Europa ist das alles einfacher. Nach Bewältigung meiner Flugangst habe ich in den vergangenen zwei Jahren einen wahren Europa-Marathon verlebt. Mit Freund_innen war ich meistens zu zweit unterwegs an – für uns – spannenden, neuen Orten. Wir fühlten uns auf einmal so erstaunlich erwachsen, alleine in Ländern, deren Sprache wir nicht sprachen; und doch haben wir jedes Mal den Weg nach Hause gefunden. Viele Aspekte machen das Wandern zwischen den Staaten in Europa angenehmer. Mit Englisch kommt man heutzutage fast in jedem europäischen Land durch. Nur einmal passierte es uns in Italien, dass wir in ein sehr nettes Lokal kamen, in dem niemand Englisch konnte. Mit einer App kamen wir halbwegs zurecht, nach meiner Bestellung wartete aber zu meiner Überraschung dann ein Eisbein [Schweinehaxe] auf mich. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich der netten Frau vermitteln konnte, dass ich leider Vegetarier bin.

Das Bezahlen funktionierte dafür problemlos. Einer der größten Vorteile der EU ist für mich die Währung. Fast überall mit dem Euro bezahlen zu können verschafft einem mehr Übersicht über Ausgaben während der Reise und ist komfortabel. Nicht nur das Umrechnen fällt weg, man kann auch viel leichter einschätzen, ob etwas seinen Preis wirklich wert ist und wieviel die Bürger_innen eines Landes generell für Produkte ausgeben. Geld beschaffen ist auch kein Problem. In Athen wurde meiner Begleiterin das Portemonnaie geklaut. Zum Glück konnte ich in Griechenland kostenlos Geld von meinem Konto abheben und vorerst die Kosten für uns beide übernehmen. So wurde aus einem ersten Schock eine fast schon eher lustige Anekdote, die uns unseren Aufenthalt nicht vermiesen konnte.

Und dann ist da die Reisefreiheit generell. In alle Länder Europäischen Union darf man ich zumindest als EU-Bürger_in ohne Visum einreisen. Außer in Großbritannien brauchte ich bisher nirgendwo in Europa einen Reisepass. Das Stempelsammeln ist damit leider passé, allerdings ist es schon purer Luxus sich jederzeit ein Ticket in ein anderes Land besorgen zu können, ohne fürchten zu müssen, abgewiesen zu werden. Für Busfahrten in die Schweiz und Österreich und einen Flug nach Litauen brauchte ich nicht mal meinen Ausweis vorzuzeigen.

So ist für mich die Reiseerfahrung der letzten Monate eine entspannte und durchweg positive gewesen. Die Reisefreiheit in Europa ist meiner Meinung nach ein kostbares Gut, dass es zu schützen wert ist! Statt eine Politik zu betreiben die sie einschränkt, wäre es schön wenn sie irgendwann einmal nicht mehr nur für EU-Bürger_innen gelten würde. Weltweit.

Von André

 

Grenzüberschreitungen

Grenze (gemäß Duden):

* 1. (durch entsprechende Markierungen gekennzeichneter) Geländestreifen, der politische Gebilde (Länder, Staaten) voneinander trennt

2. Trennungslinie zwischen Gebieten, die im Besitz verschiedener Eigentümer sind oder sich durch natürliche Eigenschaften voneinander abgrenzen

3. nur gedachte Trennungslinie unterschiedlicher, gegensätzlicher Bereiche und Erscheinungen o.Ä.

4. Begrenzung, Abschluss[linie], Schranke

1987. Das Gefühl ausgeliefert zu sein. Reine Schikane. DDR-Grenze. „Haben Sie Waffen, Sprengstoff oder Munition dabei?“ Ich war versucht zu lachen, tat aber gut daran, es nicht zu tun. Sonst könnte die Kontrolldauer sich auf unbestimmte Zeit verlängern und ich hatte schon lange genug in der grauen Tristesse der Grenzanlagen verharrt. Über die holprige Transitstrecke durch die DDR und bei der Einreise nach West-Berlin wieder dieselbe Prozedur, einschließlich Öffnen des Kofferraums. Könnte sich ja jemand drinnen versteckt haben. Immerhin konnte ich über diese Grenze gehen, andere Menschen nicht.

2017. Ich bin dabei von einem politischen Gebilde (* siehe oben) in ein anderes politisches Gebilde innerhalb der EU zu wechseln. Und auf einmal sind sie wieder da. Stehen bereit. Uniformiert und mit strengem Blick. Drei Polizist_innen und zwei Soldat_innen mit der Maschinenpistole im Anschlag. Der kritische Blick geht ins Wageninnere und kurz darauf wird mit einer autoritären Geste vermittelt, dass wir weiterfahren dürfen. Keine intensive Kontrolle der Papiere und des Wagens. Wir sind irgendwie erleichtert. Wir scheinen nicht dem Profil der_s Gesuchten zu entsprechen. Die Terrorgefahr und der Ausnahmezustand im politischen Nachbargebilde machen es wieder möglich.

Vor dreißig Jahren war das normal. An jedem auch noch so kleinen Grenzübergang gab es Kontrollen, die mal mehr, mal weniger intensiv waren. Eine Hürde im Ablauf des Reisens, eine nervige Unterbrechung, ein Zeitverlust. Das Reisen an sich war komplizierter. Alleine schon der Geldwechsel in den bereisten Ländern, jeweils mit den Verlusten beim Tausch. Damals besaß ich keine Geldkarte und war somit auf das Mitführen von ausreichend Bargeld angewiesen. Und auf offene Banken, bei denen ich in die Landeswährung umtauschen konnte. Lira, Franc, Peseten, Gulden, Schilling. Auch das jetzt Vergangenheit. Mit der Einführung des Euro wuchs das subjektive Gefühl des Zusammenwachsens. Wenigstens im Portemonnaie ein gemeinsames Europa.

Der Vertrag von Schengen hatte die Kontrollen an den Binnengrenzen innerhalb eines Teils von Europa schlicht abgeschafft, an den Außengrenzen nicht. Wie schön war doch das Gefühl über die „Grenze“ zu fahren, die eigentlich keine mehr war. Keine Kontrolle, kein ewiges im Stau stehen, kein untergründiges, wenn auch unbegründetes mulmiges Gefühl; ich hatte ja nichts zu verstecken und wurde nicht gesucht.

Die Grenzhäuschen und –anlagen waren verwaist. Das Gras und das Unkraut beanspruchten wieder ihren Lebensraum. Ein Gebäude der Vergangenheit. Etwas Überflüssiges. Im meinen Augen schon immer überflüssig.

Von Tobi