Räume für alle - eine sexualpädagogische Bestandsaufnahme
Infokasten:
Asterisk/ Sternchen (*): Das Sternchen stellt sich wie der Unterstrich (Gendergap) gegen den selbstverständlichen Gebrauch der männlichen Form bzw. zweigeschlechtlichen Bezeichnungen entgegen und gibt Raum für Menschen, die sich nicht eindeutig den Vorgaben ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ zuordnen, z. B. Akteur*in.
Das * kann auch hinter einer Bezeichnung, z.B. Mädchen*, gesetzt werden. Dies soll deutlich machen, dass sich hinter diesen Begriffen äußerst differente Menschen, mit unterschiedlichen sozio-ökonomische Merkmalen und gesellschaftlichen Positionen, verbergen. Darüber hinaus weist es auf die Konstruiertheit geschlechtlicher Kategorien hin, die sich oftmals nicht mit der eigenen Geschlechtsidentität deckt.
Aktuell gibt es auch Kritik am *, v.a. wenn es leichtfertig verwendet wird, um verschiedene Geschlechtsidentitäten zu inkludieren, ohne sie aber zu nennen. So werden ganze Personengruppen zu einem Sonderzeichen minimiert.
Cis-: Bei cis- Frauen und cis- Männern stimmt das ihnen bei der Geburt zugewiesene Geschlecht mit der gelebten Geschlechtsidentität überein. Der Begriff wurde von der Trans*-Bewegung eingeführt, um die Vorstellung, Geschlechtsidentität und Körpergeschlecht müssten identisch sein, aufzubrechen, und um nicht immer nur „Anderssein“, sondern auch die Norm sichtbar zu machen.
LGBT*IQ oder LSBQ*TI+ (aus dem Englischen): Lesbian (Lesbisch), Gay (Schwul), Bisexual (Bisexuell) und Trans*gender (Trans*geschlechtlich), Inter* und Queer. Das Sternchen stellt in diesem Falle dar, dass sich nicht alle inter*und trans* Personen zu den Kategorien in der Abkürzung „lsbtqi“ zugehörig fühlen und dass es weitere queere Identitäten gibt. Das Plus (+) hinter diesem Sammelbegriff verdeutlicht, dass noch andere Identitäten dazu gezählt werden können (bspw. ‚a‘ für asexuell).
Transgeschlechtlichkeit: Je nach der Selbstbezeichnung, Hintergrundprofession oder politischer Haltung wird Transgeschlechtlichkeit, Trans*, Transsexualität, Transgender, Transidentität benutzt. Alle Begriffe definieren unterschiedliche Aspekte, wie Menschen sich selbst bezeichnen oder wie die Begriffe Menschen mit ein- oder ausschließen.
Trans*Identität wurde und wird oft als Alternative zur medizinischen Diagnose „Transsexualität“ verwendet, um deutlich zu machen, dass es dabei nicht um Sexualität, sondern um Identität geht. Das ist wichtig, da Trans*Personen genau wie cis-Personen hetero-, homo-, bi-, pan-, asexuell usw. sein können.
Oft werden auch die Begriffe Trans* und Transgeschlechtlichkeit gewählt. Beide Begriffe wurden geprägt, um die Unterscheidung von transsexuell und transgender zu überwinden. Trans* lässt durch das (*) die Endung des Wortes offen und alle Personen können diesen Begriff für sich beanspruchen, die sich ihrem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht nicht (vollständig) zugehörig fühlen.
Ich verwende in der Regel den Begriff Trans*, der sich an der Sprachregelung der Bundesvereinigung Trans* orientiert.
Inter*: Inter* ist ein Begriff, der sich aus der Community entwickelt hat, und der als ein emanzipatorischer und identitärer Überbegriff die Vielfalt intergeschlechtlicher Realitäten und Körperlichkeiten bezeichnet. Inter* Personen weisen in der Regel gleichzeitig mehrere Geschlechtsmerkmale auf und sind deshalb bei der Geburt nicht klar einem der beiden binären Geschlechtern zuordenbar. Nun gibt es in Deutschland auch die Möglichkeit eines dritten Geschlechtseintrags bei der Geburt.
Inter* kann eine Geschlechtsidentität sein im Sinne der Selbstdefinition als Zwitter, Hermaphrodit, Intergender etc sein. Inter*Menschen können sich aber auch als Männer, Frauen oder anders definieren.
Hier findet ihr ein Glossar mit weiteren Begriffen:
https://transintersektionalitaet.org/?page_id=36#sdfootnote15sym
Hier zwei Links zu queeren Menschen, die sich zum Asterisk hinter Frau* usw äußern:
https://missy-magazine.de/blog/2018/05/11/stars-und-sternchen/
http://ichbinslinus.de/2018/06/12/ich-moechte-kein-sonderzeichen-sein/
Wie und wo entstehen Ideen über menschliche Sexualität und Identität? Wie und wo werden uns diese vermittelt? Und wie wandeln wir sie in Handlungen um?
Bücher, Zeitschriften, und soziale Medien agieren wie eine Art Anleitung für das Sexualleben und sagen uns, mit wem und warum wir Sex haben sollen oder nicht. Innerhalb der Gesellschaft begegnen uns immer wieder Handlungsanleitungen, z.B. in Form von Erzählungen, Kommunikationsweisen, Gesten, Orten, Rollen, Zeitpunkten, Objekten, Zielen, bis hin zu den passenden Empfindungen aller Beteiligten.
In diesem Artikel möchte ich mich mit einem ganz konkreten Aspekt meiner sexualpädagogischen Arbeit beschäftigen. Dieser scheint mir für die aktuellen queer*feministischen Auseinandersetzungen im BDP und überall wichtig zu sein. Es geht um das Thema Gender und Identität.
Wie Identität und Gender entstehen und sich festigen ist ein langer Prozess, den alle Menschen durchleben. Die genderorientierte Sozialisationstheorie (Gender Studies) geht davon aus, dass der Erwerb von Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen ein sozialer Prozess ist. Das weltberühmte Zitat von Simone de Beauvoir bringt es auf den Punkt: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht“. Die Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht (Sex) und sozialem Geschlecht (Gender) wird somit zu einem gesellschaftlichen Konstrukt, also zu etwas Erlerntem und Anerzogenem. Über die Erziehung im Elternhaus oder durch Institutionen wie Kindergarten, Schule oder Uni werden bestimmte „weibliche“ oder „männliche“ Rollen und Funktionen vermittelt und verinnerlicht. Dabei sind es besonders die folgenden drei kulturellen Konstruktionen, die unsere Geschlechterrollen scheinbar „natürlich“ bestimmen:
1. Biologisch gibt es nur die zwei Geschlechter - Mann und Frau
2. Es gibt dazu analog ein soziales Geschlecht (Gender) mit ganz bestimmten Verhalten und Rollen
3. Männer und Frauen beziehen sich scheinbar selbstverständlich aufeinander.
Diese Geschlechterrollen beeinflussen unser ganzes Leben, unser Verhalten und unsere Sexualität. Geschlechterrollen zeigen sich in unserer Sprache, Gestik, in unseren Handlungen, unserem Auftreten, in der Art, wie wir uns kleiden oder auch in der Art und Weise, wie wir andere Menschen wahrnehmen, ansprechen und behandeln. Ein solches Geschlechtersystem bringt immer Ausschlüsse und Abweichungen hervor, denn alle, die sich jenseits von diesem System verhalten, werden als Normabweichung definiert.
Schauen wir auf den praktischen Alltag in Schule, Kindergarten, Freizeitzentrum oder Elternhaus, so ist dort eine hohe Anzahl von Kindern und Jugendlichen aufzufinden, die sich nicht geschlechtseindeutig verhalten. Es gibt viele Berichte von Kindern und Jugendlichen, die nicht in die ihnen zugeschriebene Rolle passen und/ oder die nicht verstehen, warum sie bestimmte Kleidung tragen sollen. Wer sich in diesen Rollen und Verhaltensweisen nicht wiederfindet, hat oft zunächst keine Wörter parat, um das zu beschreiben oder trifft auf Unverständnis von Erwachsenen.
Auch in Aufklärungsbüchern sind hauptsächlich cis-Mädchen* und cis-Jungs* zu sehen. Abbildungen von verschiedenen Geschlechtsidentitäten oder sexuellen Orientierungen sind in Aufklärungsbüchern kaum zu finden. Es scheint so, als würden nur Menschen angesprochen, die heterosexuelle Beziehungen führen. Hinzu kommt, dass auch Behinderungen, dicke Körper und Fluchthintergründe nicht angesprochen werden und die abgebildeten Personen meistens weiß sind. Somit werden die Realitäten und Bedürfnisse von Schwarzen Menschen und Menschen of Color nicht beachtet. Es gibt inzwischen immer wieder Nischenbücher, Zeitschriften oder Zines für genau die oben genannten Zielgruppen. Aber leben wir nicht in einer Zeit, in der alle gleichermaßen, nebeneinander angesprochen und mit abgebildet werden können? Ebenso beunruhigend ist es, dass Mädchen* und Frauen* immer noch nur eingeschränkten Zugang zu sexuellem Wissen haben. Das Wissen um Körperfunktionen, Anatomie und auch zur sexuellen Lust ist theoretisch zugänglich, dennoch bestätigen sowohl meine Auseinandersetzung als auch Studien, dass es Kindern und Jugendlichen immer noch an grundlegendem Wissen fehlt. Dies beeinträchtigt die Möglichkeit, sexuellen Selbstwert und sexuelles Selbstbewusstsein zu entwickeln. Viele junge Frauen* entdecken ihre Sexualität weiterhin erst im Kontakt in einer Beziehung mit einem jungen Mann*. Selbstbefriedigung und genitale Selbsterforschung sind immer noch ein mit Scham verbundenes Tabu unter Mädchen* und Frauen*.
Daraus ergibt sich nun die Frage: Wie kann ein queerfeministischer, emanzipatorischer Zugang für Mädchen*, junge Frauen*, cis-, trans*, nicht-binäre, inter* und queere Jugendliche, für lesbische, schwule, bisexuelle und asexuelle Jugendliche sowie für alle, die sich diesen Kategorien nicht zuordnen, aussehen? Immer wieder gerate ich sowohl theoretisch als auch in der Umsetzung an Grenzen und in Konflikte.
In emanzipatorischen Bewegungen gibt es da einerseits den Wunsch nach Veränderung und der Zerstörung der herrschenden geschlechtlichen Machtverhältnisse. Andererseits gibt es noch den starken Fokus auf Mädchen*-Arbeit. Die Adressierung von Mädchen* und Frauen* ist ein Balanceakt und bringt die Frage auf, ob es weiterhin geschlechtsspezifische Sexualpädagogik braucht. Und wie kann ich queere, nicht-binäre, trans*, inter* und asexuelle Personen erreichen? Wie können wir für eine Sexualpädagogik für alle und gleichzeitig für Schutzräume sorgen?
Eine Möglichkeit kann die Schaffung von Orten für alle Geschlechter sein und zugleich das Angebot von Räumen für bestimmte Geschlechtsidentitäten, z.B. Transgenderräume oder Inter*Räume. Manchmal können diese weiter geöffnet sein für alle, die sich im queeren Spektrum verorten oder sich darüber austauschen möchten: Quasi Entwicklungs- und Möglichkeitsräume für performatives Denken - also für ein Querdenken, für ein Denken außerhalb von Geschlechtskategorien. Diese Räume können eine andere, offenere und unverbindlichere Wirklichkeit sein, in der die Akteur*innen frei von Zwängen und selbstbestimmt mit den Bausteinen der wirklichen Realität (sozusagen dem „da Draußen“) agieren können. Die Formate hierfür können ganz verschiedene sein: regelmäßige Cafés, Kunstaktionen, Workshops, Empowerment-Treffen und vieles mehr. Hier können Strukturen, verinnerlichte Rollen, persönliche Themen, äußere Eindrücke und innere Erlebniswelten in Beziehung gebracht und hinterfragt werden. Wir brauchen Orte, Orte der Veränderung. Freiräume, an denen unaufgeregte und emanzipatorische Auseinandersetzungen mit der Vielfalt an Gender und Identitäten geführt werden können. Seien es Autonome Zentren, lsbtq*i+ Räume, sei es der besetzte Kuhstall aufm Dorf oder seien es Angebote aus der emanzipatorischen Bildungsarbeit.
Von Nora Dilling
Hier zwei Links zu queeren Menschen, die sich zum Asterisk hinter Frau* usw äußern:
https://missy-magazine.de/blog/2018/05/11/stars-und-sternchen/
http://ichbinslinus.de/2018/06/12/ich-moechte-kein-sonderzeichen-sein/