neue Stadtguerilla
Wir machen uns die Welt widde-widde wie sie uns gefällt
neue Stadtguerilla
Täglich wird mit uns kommuniziert. Nicht nur persönlich - von Angesicht zu Angesicht – in einem Gespräch oder einer Diskussion. Nein, von allen Seiten. Durch Plakate an Wänden, Gebäuden, Bussen, Litfaßsäulen, Straßenlaternen, Treppenstufen, Autos... Durch Bildschirme in der U-Bahn, im Fahrstuhl im Wartesaal – das gesamte Stadtbild ist geprägt von Objekten, die versuchen uns auf bestimmte Art und Weise zu beeinflussen. Unser Handeln, Denken und Tun. Mal ganz direkt, mal unterschwellig. Es wird mit uns auf eine sehr einseitige Weise kommuniziert und wir haben keine andere Wahl, als uns diesem Kommunikationsprozess täglich auszusetzten – es sei denn wir entschieden uns dafür, die Wohnung gar nicht mehr zu verlassen. Diese Erkenntnis ist unbehaglich. Wer will sich schon gerne ununterbrochen den oft fragwürdigen Inhalten der Werbung, sei es für ein neues Produkt oder eine Partei ausgesetzt wissen? Die Erkenntnis ist aber auch eine Chance. Wenn durch die Gestaltung einer Stadt mit der gesamten Gesellschaft kommuniziert werden kann – dann gestalten wir sie eben so, wie wir das wollen!
Das ist keine neue Idee. Schon lange gibt es so gut wie überall auf der Welt politische Gruppierungen, die das Stadtbild als Kommunikationsmittel wählen, um ihre politische Agenda zu vermitteln. Ob durch einfaches Verändern bereits bestehender Plakate, die Nutzung freier Flächen für Kunstwerke, schlichtes Eingreifen in öffentliche Prozesse wie Wahlkampfreden oder die Nutzung freien Raumes für Happenings.
Diese Vorgehensweise, die von einigen als Kommunikationsguerilla oder neue Stadtguerilla bezeichnet wird, unterscheidet sich in einem zentralen Punkt von anderen Formen politischer Arbeit.
In der Großstadt hat mensch täglich die Möglichkeit politische Seminare zu besuchen, dem Plenum einer politischen Gruppe beizuwohnen, und bestimmt findet sich auch irgendwo immer eine angemeldete Demonstration der mensch sich anschließen kann. Als bereits interessierte Person ist das ein tolles Angebot zur Weiterbildung. Wer sich jedoch noch nie mit Politik beschäftigt hat, wird mit dieser Welt des Aktivismus wohl kaum je in Berührung kommen. Diese Person wird nicht über ihren email-Verteiler zu Lesezirkeln und Seminaren eingeladen werden, sie wird nicht im Stressfaktor nachlesen, welche Demonstrationen diese Woche geplant sind und sie wird von einer Großdemonstration eventuell erst im Nachhinein in den Nachrichten hören. Und der Flyer den wir der Person im Vorbeigehen, begleitet von dem Sprechchor „Leute lasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein“, in die Hand drücken, wird – seien wir ehrlich - mit aller Wahrscheinlichkeit ungelesen in der Mülltonne landen.
Aber was bringt uns politische Bildung, wenn sie nur in kleinen, elitären Kreisen stattfindet? Wenn Veränderung doch nur mit der Unterstützung der Masse passieren kann? Wie können wir diese herrschenden Kommunikationsbarrieren überwinden? Die neue Stadtguerilla kann darauf eine Antwort geben. Durch Veränderungen des Stadtbildes kann niemandem eine politische Haltung eingebläut werden – und das ist auch gut so! Aber es können Kommunikationsbarrieren überbrückt und Denkprozesse angeregt werden.
Es ist um einiges schwieriger sein eigenes Konsumverhalten nicht kritisch zu hinterfragen, wenn einem als „Shopping-Zombies“ verkleidete Aktivist*innen zur Weihnachtszeit im Einkaufszentrum entgegen humpeln, wie es im Zuge des Buy-nothing-days 2012 in Portland geschah.
CDU Wahlwerbung wie das Plakat mit dem Text „Jede Familie ist anders. Und uns besonders wichtig“ aus dem Jahre 2013, auf dem ein glücklicher, gutaussehender, junger Vater, eine glückliche gutaussehende, junge Mutter und eine glückliche kleine Tochter beim Pfannkuchen Backen abgebildet sind, fällt neben all den anderen Plakaten in Wahlzeiten kaum auf. Ein gefaketes Plakat mit identischem Design und dem hinzugefügten Schriftzug „Selbstverständlich no homo“ dagegen, regt schon mal zu einem zusätzlichen Gedanken über das CDU Parteiprogramm an.
Kommunikationsguerilla kann alles sein, vom kleinen Sticker auf der Litfaßsäule bis hin zum monatelang geplanten Happening. Und das ist es, was sie so einfach, vielfältig und wirkungsvoll macht. Sicherlich kann nicht jedes Eingreifen in das Stadtbild als politische Aktion verstanden werden. Was jedoch sogar jedes noch so politisch unmotivierte Graffiti und jeder lustige kleine Flashmob deutlich macht, ist die Aussage: „Die Stadt gehört uns! Wir haben keine Angst öffentlichen Raum zu nutzen!“ Und das ist ein Anfang.
Von Rike