Mexiko-City

BLATT 1-2017 S. 6 | INTERNATIONAL

Ein Ort der Gegensätze

Tagebuchfragmente aus Mexiko-Stadt

Der BDP Main-Taunuskreis unternahm Anfang des Jahres eine Jugendbegegnung nach Mexiko-Stadt. Die Teilnehmer_innen wandelten dort zwischen alten Kolonialbauten und Orten der aktuellen politischen Auseinandersetzung.

Mit rund zwanzig BDPler_innen auf nach Mexiko-Stadt – eine ganze neue Erfahrung des Reisens. Via Amsterdam fliegen wir über den großen Teich. Zu diesem Flug findet sich ein einziger Eintrag in meinem Tagebuch: „Schlechteste Nudeln der Welt.“ Aber schon der Landeanflug auf Mexiko-Stadt macht das kulinarische Desaster wieder wett: „Ein irrer Lichterteppich tut sich rechts von uns auf.“ Eigentlich auch links. Das Meer aus Lichtern nimmt kein Ende und ein erster Eindruck zur Größe dieser Stadt entsteht. In den folgenden zwei Wochen erwartet uns ein volles Programm, das von uns und unserer Partner_innen-Gruppe “Consejo de Barrios La Raza” selbst gestaltet wurde und zu dem nur einige Gedanken hier auftauchen werden.

Stadtrundgänge an verschiedenen Orten.

Immer wieder dieselbe Story: Indigene mussten nach der Ivasion durch die Spanier aus den Steinen ihrer Tempel die Kathedrale und andere Gebäude für die Kolonisator_innen erbauen. Ein kleiner Widerstand entsteht: es werden indigene Symboliken miteingebaut, die heute noch sichtbar sind. Der Erhalt der teilweise noch nicht lange wieder freigelegten Ruinen indigener Tempelanlagen ist Thema. In Tlatelolco, am Ort der grausamen Niederschlagung der Studierendenproteste von 1968, ist die Kulisse auf engem Raum besonders beeindruckend und steht irgendwie für das, was viele Menschen in Mexiko heutzutage bewegt: die indigene Geschichte (Tempelruinen) inmitten von Arbeiter-Wohnkomplexen (wie “Platte” bei uns), dazwischen Bauten spanischer Kolonialzeit und die Erinnerung an das Massaker 1968, das auch symbolisch für das bis heute mangelnde Vertrauen in die eigene Regierung steht.

Marxist_innen und linke Theoretiker_innen.

Unsere Programmstruktur führt dazu, dass wir zu Beginn einige in Folge treffen; was inhaltlich spannend ist, die mexikanische Gesellschaft aber sehr einseitig erscheinen lässt. Dennoch ist es beeindruckend, Menschen zu erleben, die so viele Jahre schon Widerstand leisten. 30 Jahre ein Haus besetzen. Für Menschenrechte politisch Gefangener kämpfen. Ein feministisches Zentrum mitten in die Innenstadt platzieren als Ansage gegen Diskriminierung, Homophobie und Rassismus und als offenen Treffpunkt. Aber wo ist das Problem des Landes, wenn alle so alternativ und offen denken?

Deutsche Unernehmenskultur.

Also, raus aus dem intellektuellen Schutzraum und „die andere Seite“ kennenlernen. Wir besuchen ein deutsches Unternehmen und treffen auf Unverständnis gegenüber kritischen Fragen zur Unternehmensexpansion. Es ist doch klar, dass überall dort expandiert wird, wo das Unternehmen noch nicht Marktführer ist! Klar ist auch, dass dafür alle kleinen, inländischen Konkurrent_innen aufgekauft werden müssen. „Fressen oder gefressen werden“: ein Zitat, im Tagebuch festgehalten.

Welten treffen aufeinander.

Diese und viele weitere Begegnungen mit Menschen vor Ort machen eine unglaublich beeindruckende Begegnung möglich mit Blicken hinter die Kulissen, die sicherlich nicht allen Reisenden ermöglicht werden. Es geht nach Hause. Erstmal alles verarbeiten. Letzter Eintrag im Tagebuch am Flughafen Mexiko-Stadt: „Der Räucherkäse in meinem Handgepäck führt bei Kontrollen kurz zu Irritationen. Ich darf ihn aber mitnehmen.“

Von Franziska

 

Ab durch die Megacity

Eindrücke der Jugendbegegnung in Mexiko-Stadt

Am vorletzten Tag unserer Fahrt nach Mexiko-Stadt begeben wir uns nach Xochimilco, den sogenannten schwimmenden Gärten Mexikos, die sich mitten in der Mega-City befinden. Während der Schiffsrundfahrt auf den Kanälen, welche die Gärten verbinden, unterhalte ich mich mit Richard, 23 Jahre alt, der das erste Mal mit dem BDP unterwegs ist.



Hallo Richard, warum hast du dich dafür entschieden mit dem BDP auf diese Fahrt zu gehen?

Ich habe Europa bisher noch nie verlassen. Mich persönlich hat Mexiko sehr gereizt, da Freunde von mir spanisch sprechen und ich da so ne Möglichkeit gesehen habe mit den Leuten besser in Kontakt zu kommen. Und dann war das so ne Bauchentscheidung und erst in der Vorbereitung auf die Fahrt ist dann gewachsen, was mich hier so erwarten könnte.

Kannst du uns ein bisschen von deinen Eindrücken auf der Fahrt berichten?

Oh, die sind natürlich sehr vielfältig. Auf jeden Fall habe ich das erste Mal richtig realisiert, was es bedeutet im Westen geboren zu sein. Diese krassen gesellschaftlichen Unterschiede, die ich bisher hier in Mexiko wahrgenommen habe, habe ich in Europa so bisher noch nicht sehen können.man kann hier sehen wie sich das Wirtschaftssystem auf unsere Gesellschaften auswirkt, besonders hier an einem anderen Ort, wo es nicht so viele soziale Absicherungen gibt. Und wo viele Menschen einfach tagtäglich viel mehr zu kämpfen haben als wir das vielleicht mit unserem doch recht großen Privileg in Deutschland geboren zu sein.

Und die Stadt, das sind ja tausende von Menschen die hier täglich unterwegs sind, die U-Bahnen sind beim Feierabendverkehr so voll, das man wie eine Sardine in der Dose in den Waggon gepresst wird. Da gibt es zum Beispiel in jeder U-Bahn einen Frauenabteil, weil es durch die Enge immer wieder zu Belästigungen kam. Und dann wenn du auf ein Hochhaus steigst, du kannst das Ende der Stadt nicht sehen, die hört einfach nicht auf.

Kannst du das ein bisschen konkretisieren was diese Kämpfe sind, von denen du gesprochen hast?

Also zum Beispiel die Leute die von Früh bis Spät auf der Straße stehen und irgendwelche Sachen verkaufen. Ich denke, dass die da nicht viel über dem Mindestlohn von vier Euro am Tag rauskommt. Sie arbeiten enorm hart und zeigen gleichzeitig gar nicht so ne große Enttäuschung. Das ist sehr interessant. Überall hört man hier: „Wir vertrauen dem Staat nicht, deswegen müssen wir es selber anpacken.“ Zum Beispiel ist Mexiko-Stadt in einer Wasserkrise und einigen Vierteln fehlt das Wasser, teilweise gibt es gar keinen Wasseranschluss. Heute haben wir ein Projekt der Organisation Isla Urbana besucht. Sie kümmern sich um die Wasserversorgung auf einem Berg gelegener Siedlungen, da die staatliche Wasserversorgung dort nicht ausreicht. Dort haben die Leute angefangen Zisternen und Filtersystem in Selbstverwaltung aufzubauen. Die sind jetzt komplett unabhängig und ihre Wasserversorgung ist jetzt sicher. Die Wasserqualität ist viel besser als das meiste Wasser das in Mexiko-Stadt aus den Wasserhähnen kommt.

Das Thema der Fahrt war ja Stadt und Globalisierung. Welche Unterschiede und Parallelen gibt es zu Frankfurt?

Abgesehen von der Größe ist Mexiko-Stadt noch viel fragmentierter – meiner Meinung nach, die ich jetzt so nach zehn Tagen habe. Gestern waren wir beispielsweise in Polanco, das war wirklich ein Viertel für die Oberklasse. Überall in der Stadt gibt es Straßenstände und Bauchläden, aber dort verbieten Straßenschilder den Verkauf auf der Straße, überall Polizei, schicke Läden und Autohäuser. Und dann fährst du eine Stadtion mit der U-Bahn und alles ist anders. Diese Segregation fällt noch stärker auf als in Frankfurt.

Was nimmst du von Mexiko-Stadt und der Fahrt mit?

Die Fahrt hat mir die Augen geöffnet für viele neue Perspektiven. Beispielsweise haben wir uns an einem Workshop in der UNAM mit Befreiungstheorien beschäftigt. In der Vorbereitung bin ich damit schon in Kontakt bekommen, aber mir hat ehrlich gesagt das Verständnis dafür gefehlt. Hier allerdings wurden mir von Menschen die hier aktiv sind die Augen geöffnet.

Wir haben sehr viele Orte besucht und ehrlich gesagt anders hätte ich jetzt nicht so ein ausgewogenes Bild von Mexiko. Und außerdem, die leckeren Fruchtsäfte sollte jeder mal probiert haben [lacht].

Alles klar, vielen Dank Richard.

Interview: Jo



Foto: Bei einem Wasserspeicher der Isla Urbana.

 

Die Jugendbegegnung nach Mexiko wurde gefürdert aus Mitteln des Kinder- und Jugendplanes des Bundes.