Ist politische Bildung nicht mehr gemeinnützig?
Stellungnahme des BDP Bundesvorstands
In den letzten Monaten sind uns mehrere Fälle zu Ohren gekommen, in denen die Gemeinnützigkeit von Vereinen, die im Bereich der politischen Bildung tätig sind, durch den Bundesfinanzhof (BFH) in Frage gestellt wurde. Für uns als Bundesvorstand des BDP wirft dies grundsätzliche Fragen zur demokratischen Grundordnung und zur Rolle von politischer Bildung auf.
Hier der Versuch einer Zusammenfassung:
Im Jahr 2019 wurden den Vereinen Attac und Campact die Gemeinnützigkeit entzogen. Die Begründung des BFH: Im Vordergrund der Arbeit müsse der gemeinnützige Zweck stehen, nicht die allgemeinpolitische Arbeit, wie in Form von Kampagnen oder Mobilisierungen der Gesellschaft.
Attac und Campact setzen sich für demokratische Mitbestimmung ein. Sie fördern u.A. demokratische Teilhabe, Bildungsgerechtigkeit und den Abbau von Diskriminierung. Bei der Entscheidung hat der BFH politische Bildung sehr viel enger definiert, als das bisher der Fall war. Politische Bildung müsse demnach neutral sein und dürfe nicht „im Sinne eigener Auffassungen“ beeinflusst sein oder „die politische Willensbildung beeinflussen“.
2019 wurde auch dem Bundesverband der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) die Gemeinnützigkeit entzogen, mit der Begründung, dass der Verein „im bayrischen Verfassungsschutzbericht wiederholt als linksextremistisch beeinflusst dargestellt“ werde. Vorgeschrieben ist, dass Vereine, die in Verfassungsschutzberichten als extremistisch bezeichnet werden, nicht gemeinnützig sein könnten. Jedoch wurde lediglich der Landesverband Bayern der VVN-BdA als „linksextremistisch beeinflusst[er]“ Verdachtsfall dargestellt, also nicht als „linksextremistisch“ bezeichnet. Außerdem kann die Aussage des bayerischen Berichts nicht für andere Untergliederungen oder gar den Bundesverband gelten. Dennoch erhielt die Bundesvereinigung Anfang November den Bescheid über die Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit.
Die Ehrenvorsitzende Esther Bejarano, die die KZs Auschwitz und Ravensbrück überlebte, schrieb in einem offenen Brief an Finanzminister Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier:
„Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!,[sic] wollen der größten und ältesten antifaschistischen Vereinigung im Land die Arbeit unmöglich machen? Diese Abwertung unserer Arbeit ist eine schwere Kränkung für uns alle. […] Nie habe ich mir vorstellen können, dass die Gemeinnützigkeit unserer Arbeit angezweifelt oder uns abgesprochen werden könnte! Dass ich das heute erleben muss!“
Die Urteile könnten Vorbild für weitere Einschränkungen sein. Ende November wurden Pläne von Olaf Scholz öffentlich, „wonach gemeinnützige Vereine ihre Zwecke nur noch ‚weit im Hintergrund‘ mit politischen Mitteln verfolgen dürften“. Dies wurde in einer gemeinsamen Presseerklärung von Attac, Campact und DemoZ kritisiert, weil es dazu führen kann, dass Vereinen aufgrund ihrer ‚politischen Tätigkeiten‘ die Gemeinnützigkeit entzogen wird.
Auswirkungen auf Vereine und die Zivilgesellschaft
Was bedeutet das nun konkret für die Vereine? Einerseits dürfen keine Spendenbescheinigungen mehr ausgestellt werden und Spenden werden steuerrechtlich nicht mehr anerkannt. Außerdem sind damit Nachzahlungen verbunden, da das gespendete Geld nun rückwirkend versteuert werden muss.
Doch das sind nur die direkten ökonomischen Folgen. Viel schwerwiegender sind unserer Meinung nach die Auswirkungen auf demokratische Beteiligung und eine politisch interessierte Zivilgesellschaft. Wir empfinden diese Urteile als einen weiteren Baustein einer Diskursverschiebung nach rechts und als ein Warnsignal an die kritischen Bürger*innen, die von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen und mitsprechen und -gestalten möchten. Denn nach den vergangenen Urteilen wird immer deutlicher, dass sich die Maßnahmen gegen ganz bestimmte, nämlich gesellschaftskritische Vereine richten.
Dem gegenüber gilt z.B. das rechte Netzwerk Uniter – von dessen Mitgliedern „Todeslisten“ für politische „Feinde“ veröffentlicht wurden – als gemeinnützig und bittet im Internet um Spenden. Auch international agierende wirtschaftliche Unternehmen mit eindeutig finanziellen Interessen genießen steuerrechtliche Vorzüge. Vereinen jedoch, die unabhängig, unentgeltlich und überparteilich für Interessen wie Umweltschutz, Demokratieförderung oder Menschenrechte eintreten, werden zunehmend Steine in den Weg gelegt.
Wir sehen in diesen Entscheidungen einen massiven Einschnitt in die demokratische Grundordnung, freie Meinungsbildung und ganz besonders in die Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und andere autoritäre Formierungen und Ansichten. Für eine demokratische Zivilgesellschaft braucht es Vereine wie Attac, Campact, die VVN-BdA und viele andere!
Was das alles mit dem BDP zu tun hat
Die Forderung der Neutralität der politischen Bildung wirft bei uns als Bundesvorstand eines basisdemokratischen Kinder- und Jugendverbandes die Frage auf, wie es möglich sein soll, unsere Arbeit nicht von unseren eigenen Auffassungen beeinflussen zu lassen. Der Wunsch nach einer demokratischeren, offeneren, diversen Gesellschaft, die verschiedensten Menschen Teilhabe und Perspektiven bietet, ist das was uns dazu antreibt, ehrenamtlich Zeit und Energie in den BDP zu stecken. Die Vorstellung, in einem rassismuskritischen Arbeitskreis auch rassistischen Äußerungen Raum zu bieten, weil wir weltanschaulich offen und 'neutral' sein sollen, lässt uns einen Schauer über den Rücken laufen.
Gemeinwohlorientiertes Engagement muss pluralistisch und divers sein und vor allem gegen anti-demokratische und menschenverachtende Tendenzen vorgehen. Eine Demokratie, die widerstandsfähig bleiben soll, braucht kritische Bürger*innen und Organisationen, die Menschen politisch bilden. Politische Bildung bedeutet für uns die Aufklärung über gesellschaftliche Zusammenhänge, sowie historische und soziale Hintergründe. Die Ziele unserer Arbeit im BDP sind es, das Urteilsvermögen junger Menschen zu schärfen und ihnen einen kritischen Blick auf Machtverhältnisse und gesellschaftliche Schieflagen zu ermöglichen. Die Teilhabe an der Demokratie – durch Wissensaneignung, Meinungsbildung und aktives Handeln, um Veränderung zu bewirken – muss gelernt werden. Deshalb möchten wir mit unserer politischen Bildungsarbeit demokratische Strukturen stärken und junge Menschen dazu ermutigen, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten.
Wenn sich Gemeinnützigkeit zukünftig auf – in Scholz Worten – ‚unpolitische‘ Freizeit- und Kirchenvereine beschränkt, ist das ein erheblicher Eingriff in die demokratische Ordnung und ein Erfolg für konservative Politiker*innen, die bereits länger versuchen, emanzipatorische Organisationen mithilfe des Gemeinnützigkeitsrechts mundtot zu machen. Diese Tendenzen sind natürlich auch eine Gefahr für den BDP und andere Verbände, die vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung wichtige Akteur*innen für eine liberale Gesellschaft darstellen.
Fazit
An den genannten Beispielen wird deutlich, dass wirtschaftliche Interessen in der Bundesrepublik höhere Relevanz genießen als die zivilgesellschaftliche Stärkung der Demokratie. Obwohl wir als BDP (noch) nicht unmittelbar betroffen sind, sehen wir darin eine gefährliche gesellschaftliche Entwicklung, der wir entgegentreten wollen. Deshalb solidarisieren wir uns mit den Organisationen, die aufgrund ihrer emanzipatorischen, politischen Bildung Repression erfahren und in ihrer Arbeit behindert werden.
Bleibt solidarisch und mischt euch ein!
Euer BDP-Bundesvorstand