International - Ziviler Ungehorsam

 

Ein Interview mit Jaime, Mitarbeiter für internationale Projekte bei der BDP Partnerorganisation Federación Scout Regional de Madrid, Spanien

BLATT: Jaime, vor etwa einem Jahr gab es viele Berichte in den deutschen Medien über die Krise in Spanien und darüber, dass insbesondere junge Menschen anstatt eines Arbeitsplatzes großen Frust haben. Wie ist die Situation heute?

J.: Was das angeht wird es immer schlimmer. Die Leute sehen keine Zukunft mehr, so wie sich die wirtschaftliche Situation entwickelt.

BLATT: Hat all das auch direkte Auswirkungen auf die Arbeit des FSRM?

J.: Na ja… Der FSRM hat jegliche finanzielle Unterstützung der Regierung verloren. Am Anfang hat die Kommunale Regierung beschlossen, sich aus der Unterstützung von sozialen Projekten zurückzuziehen und stattdessen private Initiativen von Unternehmen zu fördern. - Eine schrittweise Privatisierung von sozialen Einrichtungen also.

Inzwischen sind im Zuge des allgemeinen Sozialabbaus landesweit praktisch alle finanziellen Unterstützungen für soziale Projekte und Initiativen gestrichen.

BLATT: Wie reagieren zum Beispiel die Mitglieder des FSRM auf diese Entwicklungen, auf die Krise und die Konsequenzen solcher Regierungsentscheidungen?

J.: Die meisten Mitglieder wehren sich und protestieren im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten. Einige sind auch in Initiativen oder Gruppen organisiert, um zu protestieren und um ihre Rechte zu kämpfen.

BLATT: Es gibt also Widerstand. Was passiert konkret? Was tun diese Initiativen? Auf welche Weise wehren sich die Menschen in Spanien?

J.: Es gibt verschiedene Formen von zivilem Ungehorsam. Eine davon beschäftigt sich mit Zwangsräumungen, also damit, dass Banken Menschen, die in eine finanzielle Notlage geraten sind, aus ihren Wohnungen werfen lassen. In diesen Fällen treffen sich Protestgruppen vor den Haustüren und warten dort auf die Vertreter der Justiz und auf die Polizei und hindern sie daran, ihre Arbeit zu tun, also daran, die Leute auf die Straße zu setzen. Inzwischen haben sich verschiedene Gruppen vernetzt um gemeinsame Demonstration durchzusetzen, obwohl die Gesetzgebung gegen solche Demonstrationen permanent verschärft wird.

BLATT: Gibt es übergeordnete gemeinsame Gründe für den Protest?

Das zentrale Problem ist, dass die aktuelle Regierung die absolute Mehrheit bei den Wahlen gewonnen hat. Und zwar mit Wahlversprechen, die sie ohne jeden Zweifel nicht gehalten hat. Aber anstatt ihre Haltung nun wieder zu verändern versteift sie sich nur noch mehr darauf und nimmt sich so selbst die moralische Legitimation ihrer Macht.

In dieser Situation können wir nicht einfach warten, dass sie ihre Macht freiwillig aufgeben.

BLATT: Glaubst du, dass die Menschen eine Chance haben, mit ihren Protesten und Aktionen die Regierungspolitik zu beeinflussen?

J.: Mit Sicherheit nicht!

BLATT: Siehst du irgendwelche anderen positiven Effekte?

J.: Ja! Es gibt positive Effekte der Bürgerbewegungen. Einerseits vereinen sie Menschen, die sich in der aktuellen Situation sonst isoliert fühlen würden.

Die kommerziellen Medien sind von wirtschaftlichen und politischen Interessen geleitet und versuchen permanent die Protestgruppen zu entzweien. Sie kriminalisieren die bekannten Initiativen systematisch in ihren Darstellungen. So bleiben Menschen zu Hause und fühlen sich dort isoliert und hilflos, anstatt in den Protestgruppen andere zu treffen und sich zur Verteidigung ihrer Rechte zusammenzuschließen.

Aber die Vernetzung nimmt trotzdem zu. Zahlreiche Gruppen stimmen sich aufeinander ab und planen unterschiedliche, aber vernetzte Aktionen.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Hoffnung.

BLATT: Die Hoffnung? Was genau meinst du damit?

J.: Die Nachrichten, die immer und immer  wiederholt werden, sollen Angst machen und das Gefühl vermitteln, dass es keine Alternativen zur aktuellen Politik gibt.

Die Leute fühlen sich total wehrlos. Aber die Protestbewegungen geben den Menschen Hoffnung und die Möglichkeit zu Handeln.



 

Das Interview führte Rebekka Bimschas für BLATT

Grafik: Atelier Hurra