"Gegen die alltäglichen Blicke"
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Beratung lesbischer Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen
Ein Interview
Simin Jampoolad, Dipl. Soziologin und Dipl. Sozialpädagogin, arbeitet seit 26 Jahren in der Deutsch-Iranischen Beratungsstelle für Frauen und Mädchen, kurz DiB. Mit dem BLATT sprach sie über ihre Beratungsarbeit mit lesbischen Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen, die stets vor dem Hintergrund ihrer eigenen Fluchtgeschichte geschieht, sowie über aktuelle Probleme und politische Einschätzungen.
Anna: Was macht eure Beratungsstelle aus und wen beratet ihr in welchen Fällen?
Simin: Der Verein wurde 1984 von iranischen Studentinnen und geflüchteten Iranerinnen gegründet, ursprünglich nur für die Beratung Persisch sprechender Frauen (v.a. aus dem Iran und Afghanistan). Seit 2009 berät er auch lesbische, bisexuelle, transsexuelle Mädchen und Frauen anderer Nationalitäten zu Fragen von Identität, Beziehung, Illegalisierung, rechtliche Fragen, Gewalt und Rassismus. Nach wie vor ist er der einzige Verein dieser Art in Deutschland (und sogar Österreich). Wir bieten verschiedene Gruppenangebote an, unter anderem das Café Nahal, ein generationsübergreifendes Treffangebot für Lesben, bisexuelle und transsexuelle Frauen und Mädchen. Dort lernen sie sich gegenseitig kennen und tauschen sich aus. Die Beratungsarbeit und solche informellen Angebote ergänzen sich, weil es uns darum geht, dass sie sich auch gegenseitig helfen; Hilfe zur Selbsthilfe quasi. Wichtig ist zu sagen, dass nur fünf Stunden der Beratungsarbeit für LBT bezahlt werden, über 70 Prozent passiert ehrenamtlich. Die Arbeit basiert auf starken politischen Überzeugungen.
A.: Der politische Background verstärkt sicher den Blick auf die jüngere Generation. Habt ihr auch spezielle Angebote für Mädchen und junge Frauen?
S.: Nicht nur, aber seit Mitte der 1990er Jahre bin ich zuständig für unsere persische Mädchengruppe, die auch beim Jugendamt als „Sonstige Mädchengruppe“ anerkannt ist. Die Mädchen sind 13 bis 16/17 Jahre, aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet. Ziel der Treffen und Wochenendfahrten ist, sie zu stärken und ihnen in der Pubertät einen Anker zu geben in einer Gesellschaft, die sie isoliert und ihnen rassistisch begegnet. Schutzraum und Empowerment – das sind zentrale Pfeiler. Ich trete dabei als offen lesbisch lebende Frau, die mit zwei Kindern in den 1980er Jahren selbst aus dem Iran geflohen ist, bewusst den Eltern gegenüber. Allein durch mein Auftreten spielen Fragen um sexuelle Identität, verschiedene Liebesweisen und ihre gesellschaftspolitische Einbettung immer eine zentrale Rolle, auch wenn nicht explizit Thema.
A.: Wie ist dein einschätzender Blick auf die aktuelle Situation? Wo siehst du Probleme?
S.: Ein großes Problem sehe ich darin, dass viele Geflüchtete als Opfer behandelt werden, was sich bei geflüchteten Frauen noch verstärkt. Sie standen in diktatorisch geführten Ländern der Armee – teilweise kämpfend – gegenüber, haben einen lebensgefährlichen Fluchtweg auf sich genommen und werden hier wie arme Opfer behandelt. Auch ich musste stark dagegen kämpfen, worunter ich sehr gelitten habe. Ich habe immer gesagt, kein Machthaber konnte mich entmündigen. Aber die Heime haben mich platt gemacht, mir mein Selbstbewusstsein genommen. Du musst so stark sein gegen die alltäglichen Blicke. Plötzlich stellst du dir die Frage: „Warum bist du überhaupt hier? War es im Gefängnis nicht manchmal besser als hier?“ In der Beratung mit Geflüchteten erlebe ich sehr ähnliche Klagen.
A.: Und hast du konkrete Forderungen im Kopf? Was sich da ändern müsste?
S.: Das ist nicht einfach, weil die Dinge gesellschaftlich so stark miteinander verwoben sind, gerade was den alltäglichen Rassismus, das Gefühl der Überlegenheit und die Stereotypen im Kopf angeht. Zunächst müsste viel offener über verdeckte Erwartungshaltungen gesprochen werden. In meiner Beratung habe ich beispielsweise eine junge Frau kennengelernt, die seit mehreren Jahren in Deutschland in einer heterosexuellen Ehe lebt, hier arbeitet, ein Kopftuch trägt und nun mit den Problemen konfrontiert ist, dass sie eine Frau liebt, sich von ihrem Mann trennen möchte, er sich aber nicht, sie ihr Kopftuch ablegen möchte, und es ihr zugleich wichtig ist, ihr Lesbisch sein mit ihrem muslimischen Glauben zu vereinbaren. Hier werden alle gängigen Stereotypen gesprengt. Solche Irritationen sollten sichtbar gemacht werden, um deutlich zu machen, dass dahinter ein Mensch steht, der für sich und seine Rechte kämpft und versucht entgegen aller Hürden sein Leben zu meistern. Von Opfer kann da keine Rede sein. Auch die Rolle der westlichen Staaten bzw. Deutschland mit ihrer Politik und kolonialen Geschichte sollte in diesem Zusammenhang kritischer hinterfragt werden, wenn es um die sogenannten Fluchtursachen geht. Da würde sich in der Haltung den Geflüchteten gegenüber schon vieles ändern. Eigene Vorstellungen, Klischees und Vorbehalte sollten insbesondere in der Arbeit mit Jugendlichen, die aus anderen Ländern hierherkommen, kritisch überdacht werden. Ihre Wertschätzung als Mensch bleibt das Wichtigste. Diese simple Einsicht kann nicht oft genug wiederholt werden.
A.: … ein schönes Schlusswort – vielen Dank!
Interview: Anna