Erinnerungspolitik und aktuelle soziale Kämpfe
Weitere Infos: www.info-baskenland.de
Lektüre: Fritz Teppich: Der rote Pfadfinder – der abenteuerreiche Weg eines Berliner Juden durch das 20. Jahrhundert
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Foto: Friedhof: „Gedenkfriedhof des Internierungslagers Gurs, in das von 1940 an zahlreiche Juden und Jüdinnen aus Südwestdeutschland deportiert wurden.“
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*dieser Artikel ist die lange Version dessen aus dem gedruckten Heft*
Reisebericht einer Fahrt in die baskische Vergangenheit und Gegenwart
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Euskal Herria – das Land der Baskisch Sprechenden, aufgeteilt auf zwei Staaten (Spanien und Frankreich), ein Land, in dem 20% links(-radikal) wählt, mit bunter Musikkultur - aber auch ein Land mit trauriger Geschichte, was Flucht, Massenerschießungen, dem sogenannten Kriegsübungsplatz für Nazi-Deutschland sowie Folter und Repression betrifft – und das bis in die Gegenwart. Unsere Bildungsreise sollte Licht bringen in diese komplizierten politischen, sozialen und historischen Prozesse und den Blick über den touristischen Tellerrand hinauswerfen.
Nach zweitägiger Anreise mit Zwischenstopp an der Gedenkstätte im südwestfranzösischen Oradour-sur-Glane (wo die Waffen-SS 1944 ein brutales Massaker an 642 Menschen verübte), kommen wir müde an unserem Basiscamp, dem Stadtteilzentrum La Cultura in Bilbo an, wo wir herzlich von unseren Gastgeber_innen begrüßt werden. Direkt geht es weiter mit den ersten interkulturellen Erfahrungen: der baskischen Feierkultur auf der berühmten alternativen Fiesta, wo diverse linke Gruppen ihre oft phantasievoll gestalteten Stände haben (z.B. mit einer überdimensionierten Asterix-Figur – das gallische Dorf im Baskenland?!).
Etwas mitgenommen von der Feierei geht’s am dritten Tag weiter mit einem alternativen Stadtrundgang. Unsere Guides, Andrea und Klaus von der Partnerorganisation baskale geben einen Input zur historischen Entwicklung Bilbos von der Industrie- zur Dienstleistungsmetropole, zur Entstehung der Arbeiter_innen- und baskischen Unabhängigkeitsbewegung sowie zu aktuellen sozialen Kämpfen gegen Gentrifizierung. Zum Abschluss kehren wir in eine der vielen „Herrikos“ ein. Die „Herrikos“ sind von abertzalen – also baskischen – Linken betriebene Kneipen, die sich über den gesamten spanischen Teil des Baskenlands erstrecken. Wie viele andere soziale Organisationen der abertzalen Linken, schwebt derzeit ein Verbotsverfahren des spanischen Staates über ihnen. Begründung: Unterstützung der Organisation mit den drei Buchstaben (aka ETA).
Nach den Einblicken in aktuelle soziale Kämpfe, wenden wir uns erinnerungspolitischen Themen zu. Barranbio, ein kleiner Ort südlich von Bilbo, lag während des spanischen Bürgerkriegs an einer wichtigen Verteidigungslinie, dem sogenannten Eisengürtel. Mit Schippen und Hacken in der Hand kraxeln wir in zunehmender Hitze den Berg hinauf, um auf dem Gipfel an einer Kapelle Zeitzeug_innen zu treffen, die von der Situation während und nach dem Krieg, der Zeit unter der Diktatur von Franco berichten. Die Front verlief hier nicht nur geografisch, sondern mitten durch Familien und Dorfgemeinschaften – weit über die Kriegszeit hinaus. Betroffenes Schweigen tritt ein. Wie vielerorts in Spanien beginnt der Austausch und die Aufarbeitung dieser Zeit auch hier erst jetzt allmählich.
Nachdenklich schnappen wir uns im Anschluss unser mitgebrachtes Werkzeug und beginnen gemeinsam mit unseren Partner_innen zur Erinnerung eine Kriegsstellung nachzubauen, an der internationale Freiwillige für die spanische Republik und ein unabhängiges Baskenland gekämpft haben. Symbolisch für all diese Menschen bringen wir an der Stelle eine Plakette für den Spanienkämpfer Fritz Teppich an, der an diesem Frontabschnitt stationiert war.
Unsere Reise geht weiter mit dem Wechsel von der Großstadthitze an die angenehm klimatisierte Atlantikküste, in das kleine Küstenstädtchen Lekeitio . Auf Polittag folgt Kulturtag: Besuch des bemalten Oma-Walds, der Höhlenmalereien in der Santamine-Höhle, einer Wanderung und abendlichem Sonnenuntergang am Meer mit Blick auf die AKW-Ruine Lemoiz inklusive Protestgeschichten aus den 1980ern.
Ein wichtiges Thema bleibt aber auch hier die Zeit des Spanischen Bürgerkrieges und des Franco-Faschismus. Der Ort Gernika wurde während des Krieges 1937 von der deutschen Legion Condor durch ein Flächenbombardement vollständig zerstört. Ein großer Teil der Bevölkerung kam bei der Bombardierung ums Leben. Während der Franco-Diktatur konnte kein Gedenken an das Ereignis stattfinden. Erst (lange) nach Francos Tod im Jahr 1975 wurde ein öffentliches Erinnern genau wie eine Aufarbeitung der Ereignisse möglich. Eine Führung und ein Museumsbesuch zusammen mit unseren Partner_innen führen uns das Grauen der Zerstörung nach und nach vor Augen. Wir sprechen mit Zeitzeug_innen über die Zeit des Franquismus, über Familienangehörige, die unbekannt verschwunden sind, den Widerstand und den Kampf um die Erinnerung, wie beispielsweise um das weltweit berühmte Gernika-Bild von Picasso, das noch immer in Madrid und nicht an dem eigentlichen Ort des Geschehens hängt.
Die Tage vergehen im Flug und die letzte Teiletappe steht an: Es geht nach Gurs im französischen Teil des Baskenlandes. Wir schlagen einen ähnlichen Weg ein, wie viele Menschen vor rund 80 Jahren, die in der Flucht vor dem siegreichen Faschismus zum Ende des Bürgerkrieges den einzigen Ausweg sahen – um dann direkt hinter den Pyrenäen in einem Lager, wie dem in Gurs, interniert zu werden. In mehreren Phasen wurden in Gurs zunächst Spanienkämpfer_innen, dann französische Linke und jüdische Menschen aus Deutschland vor ihrer Deportation in die Vernichtungslager interniert.
Der Himmel wirkt grau und trist, ein Sturm zieht auf. Wir krabbeln aus unseren Zelten. Der Herbst ist da. Jetzt heißt es Abschied nehmen von uns lieb gewonnen Menschen, Heimreise und Melancholie sind angesagt. Wir haben während dieser Tage einen intensiven Blick in das Leben, die Geschichten und Konflikte von Menschen gewonnen, der uns stark bewegt, viele Antworten gegeben, aber auch viele neue Fragen aufgeworfen hat.
Dass diese Geschichten und Konflikte bis in die Gegenwart fortwirken, wurde uns nur kurze Zeit später ins Gedächtnis gerufen. Einige Wochen nach unserer Fahrt wurde der Baske Tomas Elgorriaga Kunze – ein Mitarbeiter der Uni Freiburg – wegen seines Engagements für die abertzale Linke unter Terrorismus-Verdacht von Deutschland an Frankreich ausgeliefert. Auch gegen die Internationalismus-Gruppe Askapena wurde ein Prozess wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eröffnet – Ausgang unklar.
von Jan für die Reisegruppe