Drei Steine
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→ Buch: Nils Oskamp: Drei Steine | Panini | 2016 | 19,99 EUR
→ Zusatzinfos und Begleitmaterial zum Download: www.dreisteine.com
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BLATT 1-2017 S. 26 | THEMA
Drei Steine
Graphic Novel von Nils Oskamp über die rechte Szene im Dortmund der 1980er Jahre
In der autobiographischen Graphic Novel „Drei Steine“ nimmt uns Nils Oskamp mit nach Dorstfeld, einen Dortmunder Stadtteil. Dieser ist geprägt vom Bergbau, von 1849 bis 1963 wurde hier Steinkohle abgebaut. Seit den 1960er Jahren sind im Ruhrgebiet jedoch Arbeitsplätze in den industriellen Brauereien, Stahlwerken und im Kohletagebau massiv abgebaut worden. Es folgte eine Zeit der Beschäftigungskrisen und ein Strukturwandel hin zum Dienstleistungssektor und der Fahrzeugproduktion. So zum Beispiel hatten viele Schlosser*innen und Elektroniker*innen, die im Kohleabbau tätig waren, einen Arbeitsplatz bei Opel gefunden, nachdem sie ihre Jobs im Bergbau verloren hatten. Dennoch waren 1980 von den circa 580.000 Einwohner*innen Dortmunds 13.552 arbeitslos; 1988 waren es dann schon 37.155 Menschen. In dieser Zeit entwickelte sich das Ruhrgebiet und insbesondere auch Dortmund vor dem Hintergrund von Identitäts- und Beschäftigungskrisen zu einer der Brutstätten der organisierten extremen Rechten in der Bundesrepublik.
So entstanden zum einen rechte Kameradschaften und Hooligangruppen mit Nähe zu Fußballfanszenen von Vereinen wie Borussia Dortmund oder Schalke 04 aus Gelsenkirchen. Sie funktionierten damals wie heute als Bindeglied zwischen Fußballfanszene und militanter rechter Szene. Zum anderen agierte neben der Kameradschaftsebene auf Parteiebene in den 1980ern die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“, welche von Altnazis gegründet und geführt wurde. Ziel der 1995 verbotenen FAP war die Neugründung der NSDAP und die Errichtung eines autoritären Staates nach Vorbild des NS-Regimes.
Interessant ist in diesen Zusammenhang die Geschichte von Sigfried Borchard, Jahrgang 1953. Als wohl schillerndste Figur aus dieser Mischszene ist er, „SS-Siggi“ genannt, maßgeblich beteiligt an der Gründung der „Borussenfront“. Sie ist eine der ersten militanten, rechten Hooligangruppen Deutschlands und hat einen engen Bezug zum Fußballverein Borussia Dortmund. In der Graphic Novel taucht eine Siegfried Borchard verdächtig ähnliche Figur auf, die als Rädelsführer einer Kameradschaft im Umfeld des Protagonisten agiert.
An der Person Borchert wir die Kontinuität auf personeller Ebene in der rechten Szene deutlich: Borchard wurde von der Partei „Die Rechte“ zur Kommunalwahl 2014 als Kandidat aufgestellt, gewann sogar einen Sitz im Dortmunder Stadtrat. Auch wenn er sich nach zwei Monaten wegen gesundheitlicher Gründe auf eigenen Wunsch ausschied, zeigte er eher die Unfähigkeit, sich in demokratischen Gremien einzubringen. Mit Anhänger*innen seiner Partei rief er am Abend der Wahlfeiern zum sogenannten „Rathaussturm“. Um den Wahlsieg zu feiern versuchten Anhänger*innen der rechtsextremen Partei sich mit Gewalt Zutritt zum Dortmunder Rathaus zu verschaffen. Während der Auseinandersetzungen wurde „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ gebrüllt. Es gab zehn Verletzte. Siegfried Borchard ist auch heute noch ein auf Aufmärschen gerne und oft gesehener Gast.
Die Graphic Novel berichtet Nils Oskamp seinem Sohn von seiner Schulzeit. Die Geschichte beginnt mit einem Traum des Autors. Darin wird er von einer Gruppe militanter Rechter angegriffen, aber dann doch von seinem Sohn aus dem Schlaf gerissen, der ihn aufweckt, weil er zur Schule muss. Beim Frühstück beginnt er, seinem Sohn zu erzählen.
Er berichtet von seiner Außenseiterrolle in der Schulzeit,weil er sich gegen die ideologische Vereinnahmung durch die Nazis in seinem Umfeld auflehnt. Als er im Geschichtsunterricht einen Mitschüler verhöhnt, der die Geschichte des Holocaust als „Propagandalüge der Besatzungsmächte“ leugnet, fällt er zum ersten Mal als „Vaterlandsverräter“ auf. Als solcher wird ihm auf dem Heimweg aufgelauert, wo er sich zunächst noch gegen seine Angreifer wehren kann. Es folgen dann aber weitere Angriffe, die an Intensität zunehmen. Sein einziger Verbündeter ist Tom, ein Kumpel seines Bruders, zu dem er mit der Zeit eine enge Freundschaft aufbaut. Nach dem ersten Angriff auf seine Person findet Nils auf einem geschändeten jüdischen Friedhof drei Steine, die auch namensgebend für die Geschichte sind. Einen davon nutzt er, um sich zu verteidigen. Den zweiten hätte er beinahe benutzt, um einen Menschen zu erschlagen, entschied sich aber, ihn wegzuwerfen. Den dritten Stein hat Nils Oskamp in der israelischen Holocaustgedenkstätte in Yad Vashem niedergelegt.
Im Rahmen einer Aktionswoche zu Thema Rechtsextremismus war Nils Oskamp im BDP-Haus am Hulsberg in Bremen zu Gast. Im Anschluss an die Lesung gab es noch eine Diskussion zum Thema fehlender oder nicht ausreichender Beratungsstrukturen für Opfer rechter Gewalt. Im Falle des Autors entstand eine Spirale von Gewalt, die in einem Angriff mit Schusswaffen auf sein Leben mündete – eine Entwicklung die bis heute nicht unrealistisch ist. Bei der Veranstaltung stellte sich auch eine neu gegründete Initiative zur Beratung von Opfern rechter Gewalt in Bremen und Bremerhaven vor.
In Kooperation mit der Amadeu Antonio Stiftung entstand eine mit Informationsmaterialien angereicherte und leicht gekürzte Ausgabe des Comics. Des Weiteren sind auf der zum Buchprojekt gehörenden Internetseite Arbeitsmaterialien zu finden, die die Geschichte des Comics dazu nutzen, sich systematisch mit rechter Gewalt und Nazi-Strukturen auseinanderzusetzen. Die Materialien sind zwar für die Anwendung im schulischen Kontext entwickelt, bieten aber auch Anstöße für die Arbeit im Jugenverbandskontext. Nils Oskamp steht als Referent für Lesungen und Workshops zur Verfügung.
Nils Oskamp antwortet auf die Frage, warum sich die Graphic Novel an Jugendliche richtet: „Wenn eine jugendliche Person eine Neonazigruppierung an ihrer Schule hat und sich aufgrund der Geschichte überlegt, den Blödsinn nicht mitzumachen, hat sich die ganze Arbeit schon gelohnt.“
Von Ruben