Black lives matter

Der Weg der Rassismuskritik – Bericht aus Hamburg

Infokasten:

Rassismuskritik hat zum Ziel, rassistische Strukturen aufzuzeigen und ihnen entgegenzuwirken. Dies bringt unterschiedliche Anforderungen für weiße und Schwarze Menschen mit sich und ist ein sehr langer, schwieriger Prozess.

Dabei ist wichtig zu verstehen dass es unmöglich, bzw. ein langer Lernweg nötig ist, nicht rassistisch zu sein, wenn man als weiße Person in der westlichen Gesellschaft aufwächst. Koloniale Geschichtsschreibung und rassistische, verinnerlichte Denk- und Sprechweisen werden bereits im Kindesalter gelernt und als ‚normal‘ empfunden.

Schwarz ist eine politische Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismuserfahrungen machen. Dabei geht es um Erfahrungen und nicht um biologische Gemeinsamkeiten. Und es geht um die (gemeinsamen) Erfahrungen von Widerstand. Schwarz wird auch als Adjektiv groß geschrieben.

People of Color (PoC) ist auch aus dem Selbstbezeichnungsprozess rassistisch unterdrückter Menschen entstanden und benennt die Erfahrungsgemeinsamkeiten zwischen Communities mit unterschiedlichen historischen Hintergründen.

weiß wird klein und kursiv geschrieben um darauf hinzuweisen, dass es sich um eine Positionierung und soziale Zuschreibung als weiß in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft handelt.

Die Begriffe sind politische und gesellschaftliche Konstruktionen, die jedoch reale Auswirkungen auf die Personen haben, die einer Gruppe (fremd-)zugeordnet werden.

 

Literaturtipps:

Tupoka Ogette: Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen.

Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß.

 

In der Wissenschaft wie auch in Zeitungen, Zeitschriften etc. gibt es die Tendenz, die Position der Autor*in nicht zu thematisieren, da sie objektiv sein solle. Wir finden aber, dass niemand aus einem neutralen Standpunkt schreiben oder sprechen kann. Deshalb ist es unerlässlich, unsere Position als weiße, in Deutschland aufgewachsene Studentinnen sichtbar zu machen, insbesondere wenn wir zu so einem sensiblen Thema wie Rassismus(kritik) schreiben, bei welchem wir immer die nicht-Expert*innen bleiben werden.

Im Rahmen des Seminars zu Rassismuskritik und Postkolonialismus mit Mirjam und Laura im Herbst 2019 haben wir beschlossen, den AK „Aktivismus gegen Rechts“ neu zu beleben und uns gemeinsam weiterzubilden, selbstkritisch zu hinterfragen und uns damit zu beschäftigen, wie wir den BDP rassismuskritischer gestalten können.

 

Dafür trafen wir uns im Februar in Hamburg:

Am Freitag haben wir nach dem ersten Ankommen und Kennenlernen mit einer thematischen Einführung gestartet und uns über unsere Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse bezüglich des Wochenendes ausgetauscht.

Am Samstagvormittag nahmen wir an einem postkolonialen Stadtrundgang von Laura Mancheno teil und setzten uns mit der Frage auseinander, wie präsent die koloniale Vergangenheit Hamburgs im gegenwärtigen Stadtbild ist. Hamburg gilt als das „Tor zur Welt“. Häufig wird dabei ignoriert, dass der Wohlstand der Stadt zu einem großen Teil auf dem Kolonialismus beruht, der bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts reichte. Viele Hamburger*innen profitierten von der Versklavung und Ausbeutung der Menschen unter anderem in Tansania, Burundi oder Ruanda. Der Handel mit Kolonialwaren (z.B. Kaffee, Schokolade, …) und verschleppten Menschen machte viele Händler und Kaufleute wohlhabend. Mit diesem Geld bauten sie in der Hamburger Innenstadt imposante Gebäude wie das Chilehaus, die nach wie vor erhalten sind. Gedenktafeln und Straßennamen erinnern an die mächtigen und einflussreichen Kaufleute, ohne jedoch auf die problematische, kolonialrassistische Geschichte einzugehen.

Am Nachmittag nahmen wir an einem Vortrag von Tsepo Bollwinkel über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Schwarzer Menschen in Deutschland teil, der im Rahmen des Black History Month stattfand. Tsepo schilderte seine Erfahrung, als Schwarzer Südafrikaner im Exil in Deutschland aufzuwachsen und berichtete eindrücklich von schmerzlichem und gewaltvollem Alltagsrassismus, dem er schon immer ausgesetzt war und nach wie vor ist. Darüber hinaus zeichnete er die Geschichten von zahlreichen Schwarzen Menschen nach, welche seit über 400 Jahren in Deutschland leben, aber in der Geschichtsschreibung meist unsichtbar bleiben. Dieses Wissen über das Leben und die Erfahrungen anderer Schwarzer Menschen ist wahnsinnig wichtig, um das Narrativ des weißen Deutschlands hinterfragen und brechen zu können.

Im Anschluss an den Vortrag fand eine Diskussion statt, in der hauptsächlich Schwarze Menschen den Raum nutzten, um sich auszutauschen. Eine Schwarze Person adressierte die weißen Menschen im Raum und forderte sie auf, nicht nur zu Vorträgen zu gehen und sich die Erfahrungen Schwarzer Menschen anzuhören, sondern aktiv zu werden. Als Beispiel dafür nannte Tsepo das Verlernen von rassistischen Denk- und Sprechweisen. Das ist eine der Voraussetzungen, um als weiße Person an einer rassismuskritischen Veränderung der Gesellschaft mitarbeiten zu können.

Diese Aussage machte uns bewusst, dass Rassismuskritik ein Prozess ist, der für uns nie abgeschlossen ist. Wir waren uns einig, dass wir für eine rassismuskritische Öffnung des Arbeitskreises und des BDPs bei uns selbst anfangen und etwas über die Strategien und Mechanismen von Weißsein und Rassismus lernen müssen. Critical Whiteness ist eine Wissenschaft, die ebendiese Themen behandelt und zum Beispiel untersucht, welche Abwehrmechanismen weiße Menschen empfinden, wenn sie auf rassistisches Verhalten hingewiesen werden.

Die heutigen Critical Whiteness Studies waren ursprünglich eine Schwarze Überlebenswissenschaft, indem Schwarze Menschen weißes Verhalten studiert und Strategien entwickelt haben, mit der alltäglichen Bedrohung durch Rassismus umzugehen. Wir sehen diese wichtige und fruchtbare Denkrichtung als einen Schlüssel zu einer rassismussensibleren Weiterentwicklung des BDPs und haben Tsepo Bollwinkel aus diesem Grund als Referent zu einem Treffen des AKs im Oktober 2020 eingeladen. Er wird mit uns darüber sprechen, wie die Tatsache, dass wir weiß sind, unser Aufwachsen, unser Denken und unser Handeln beeinflusst. Außerdem möchten wir daran arbeiten, die rassistischen Sprechweisen und andere Gewohnheiten, mit denen wir aufgewachsen sind und die wir als normal empfinden, aufzudecken und zu verlernen.

 

Rassismuskritik und wie weiter?

Am Sonntag haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie es jetzt nach dem Wochenende mit dem AK weitergeht. Schnell war für uns klar, dass wir als AK aber auch als Gesamt-BDP vor einem langen Weg der Selbstanalyse und Selbstkritik stehen. Wir haben uns gefragt, wie wir unserem Anspruch gerechter werden können, ein offener und demokratischer Jugendverband zu sein, der für Schwarze Menschen und People of Color ebenso attraktiv ist wie für weiße Personen. Dafür müssen wir uns vermehrt damit beschäftigen, wie wir mit unserem Sprechen und Handeln Ausschlüsse (re-)produzieren und Normalitäten und Privilegien voraussetzten, die nicht für alle Teilnehmende gelten. Gleichzeitig braucht es ein Bewusstsein dafür, dass Rassismus, wie überall, auch im BDP vorkommt. Ein klarer, offensiver Umgang damit ist deshalb wichtig.

Nur so kann sich der BDP auf den langen, aber notwendigen Weg der praktischen Rassismuskritik machen, um dem Anspruch, solidarisch und antifaschistisch zu sein, gerecht(er) werden.

 

Mitch und Lin