Baumhaus Hambi

Das A im Wald- Aktivismus im Hambacher Forst

Es ist Mitte September 2018 und der Hambacher Forst wird geräumt. Aus ganz Europa fahren in diesen Tagen Menschen zu dem kleinen Wald in der Nähe von Köln. Sie nehmen stundenlange Autofahrten auf sich, teilen die Spritkosten, haben Lohnausfall, verpassen Lernstoff in der Schule oder Uni und gehen das Risiko strafrechtlicher Verfolgung ein. Wie kommt es, dass so viele Menschen all das auf sich nehmen, um sich in diesem kleinen Wald tausenden Polizist*innen entgegenzustellen?

Umweltschutz

Der erste und wichtigste Grund ist Umweltschutz. Der Hambacher Forst ist zu einem Symbol des Widerstands gegen Braunkohle geworden. Sieben der zehn größten Klimasünder Europas sind deutsche Braunkohlekraftwerke. Immer mehr Menschen erkennen, dass das Festhalten an dieser veralteten Energieversorgung katastrophale Auswirkungen auf die Natur hat. Schüler*innen politisieren sich und zeigen bei den Fridays For Future Demonstrationen (siehe auch Seite ...) beeindruckendes Durchhaltevermögen. Es ist die Jugend, die die Fehler der letzten Generationen ausbaden müssen wird.

Erproben eines neuen Gesellschaftsmodells

Der zweite Grund, der trotz der Bekanntheit des Hambacher Forsts im öffentlichen Diskurs leider kaum Beachtung findet, ist das Erproben eines neuen Gesellschaftsmodells. Die Besetzung im Hambacher Wald gibt es seit 2012, lange bevor er deutschlandweite Bekanntheit erlangte. Hier haben Menschen versucht, sich ein Leben abseits von kapitalistischen Zwängen aufzubauen. In den Baumhäusern zahlt niemand Miete, gekocht wird zusammen, meistens mit geretteten (containerten) Lebensmitteln oder Spenden von Anwohner*innen, die die Besetzung unterstützen. Und natürlich ist hier noch keine Friede-Freude-Eierkuchen-Welt entstanden, denn wo verschiedenste Menschen aus unterschiedlichen Kontexten mit unterschiedlichen Vorstellungen und Idealen zusammenkommen gibt es immer Differenzen. Doch der Grundgedanke war und ist immer schon, dass sich hier alle Menschen frei entfalten können, ohne eine Autorität die ihnen vorschreibt, wie sie zu leben und wer sie zu sein haben. Diesem Traum von Anarchie, also einem Leben ohne Herrschaft, haben sich hier viele Menschen verschrieben.

In jahrelanger Arbeit wurden beeindruckende Baumhausdörfer geschaffen. Der Vorwurf, dass hier faule Linksradikale leben, die keine Lust auf Arbeit haben, ist absolut falsch. Der Unterschied zum herkömmlichen Verständnis von Arbeit ist der, dass hier keiner Lohnarbeit nachgegangen wird und somit nicht Profitmaximierung Sinn und Zweck der Arbeit ist, sondern ein Ideal. Und auch für Menschen, die sich ein komplettes Aussteigen aus der Gesellschaft nicht vorstellen können, bietet der Hambacher Wald Möglichkeiten, sich zu entfalten. Es gibt jährliche Skill-Sharing-Camps, auf denen in Workshops aller Art Wissen geteilt wird. Zu den notwendigen Basics im Wald gehören beispielsweise Kletter- und Selbstverteidigungskurse, doch es gibt auch Vorträge zu politischen Themen und Raum für Diskussionen.

Räumung und Wiederbesetzung im Herbst 2018

Die RWE AG ist ein börsenorientierter Energieversorgungskonzern welcher seit Jahren versucht, den verbliebenen Teil des ehemals 5.500 Hektar großen und seit 12.000 Jahren existierenden Waldes für den Braunkohleabbau zu roden. Dabei dürfen Bäume eigentlich nur von Oktober bis März gefällt werden. Bei der Räumung im September 2018 wurden jedoch für den Einsatz von Hebebühnen und anderem schweren Gerät massive Schäden im Wald verursacht. Während der Räumung des Baumhausdorfes Lorien wurde eine große Lichtung geschlagen, die komplett mit Sand und Kies aufgeschüttet und zerstört wurde. Nachdem die Räumung am fünften Oktober 2018 durch einen Gerichtsbeschluss gestoppt wurde, konnten Aktivist*innen mit der Wiederbesetzung beginnen. Und auch die Lichtung soll mit jungen Bäumen rekultiviert werden. Im Bild erkennt man die Setzlinge, die in Form des Zeichens für Anarchie - ein großes A in einem Kreis - angepflanzt wurden. Dieses Zusammenspiel von Umweltschutz und dem Wunsch nach einem befreiten Leben macht den Hambacher Wald zu einem so einzigartigen Ort, für den so viele mutige Menschen so viel auf sich nehmen und so viel riskieren.

In Zeiten, in denen die Gesellschaft einen massiven Rechtsruck erlebt werden Inseln des Widerstands immer wichtiger, leider aber auch immer bedrohter. Freiräume werden geschlossen, Hausbesetzungen geräumt. Umso wichtiger ist es, dass sich politisch interessierte Menschen engagieren, aktiv werden, die Dinge selber in die Hand nehmen. Ein Leben ohne kapitalistische Zwänge ist möglich, muss aber auch Tag für Tag erkämpft werden. Auch wenn der Weg dorthin beschwerlich ist und manchmal hoffnungslos scheint, zeigt die Besetzung des Hambacher Forsts, dass sich der Einsatz lohnt.

Von Simon