Euskadi Herria. Lichtblicke im Baskenland
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Euskadi herria - Lichtblicke im Baskenland
Erinnern und Gedenken.
Eine Bildungsreise und Fachkräfteaustausch ins Baskenland
7. – 16. September 2018
Freitagnachmittag in der Altstadt von Bilbao: enge Gassen, Kopfsteinpflaster und über mir ein azurblauer Himmel mit Wolken.
Von einem etwas entfernten Platz schallen die Klänge der Txalaparta, ein baskisches Perkussionsinstrument, herüber. Auf dem Platz haben sich Menschen versammelt und neben den Bildern von zwei Menschen und einem roten Stern werden Reden gehalten.
Viele Menschen hören schweigend und nachdenklich den Redebeiträgen zu. Andere gehen mit wütender Miene und abschätzigen Bemerkungen an der Menge vorbei.
Für die einen sind die Menschen, über die dort gesprochen wird, nichts anderes als nationalistische Terroristen; für die Teilnehmenden der Veranstaltung sind sie Widerstandskämpfer in antifranquistischer Tradition.
Die Veranstaltung zeigt, welch tiefe Risse die baskische Gesellschaft seit langer Zeit teilt. Der Spanienkrieg, die franquistische Diktatur sowie die bewaffneten Auseinandersetzungen der letzten vierzig Jahre haben tiefe Spuren hinterlassen.
Wir sind ins Baskenland gekommen, um uns im Rahmen der Bildungsreise einen persönlichen Eindruck von Menschen, Land und Geschichte zu machen und uns mit der Erinnerung an Menschen und Geschichte auseinander zu setzen. Diese Gedanken möchte ich an dieser Stelle mit euch teilen.
Reise nach Bilbao
Eine lange, endlos erscheinende Reise, die durch das nächtliche Frankreich führt, über fast leere Autobahnen mit Zwischenstopps auf verwaisten Rastplätzen führt uns nach Bilbao.
Am frühen Morgen machen wir eine Pause im französischen Teil des Baskenlands: in der Ferne erheben sich die Pyrenäen im Morgenlicht, auf der anderen Seite glitzert die Biskaya. Übermüdet erreichen wir unser Ziel, quartieren uns ein und erholen uns kurz. Eine Woche mit einem spannenden und vollen Programm steht uns bevor. Wir lernen uns und unsere baskischen Partner*innen kennen und stellen uns gedanklich auf die Fragen ein, die uns in der nächsten Woche begleiten:
Wie wird Geschichte hier behandelt und vermittelt? Wie werden die Schrecken dieser Zeit verarbeitet? Wie wird der Opfer gedacht? Wie kann sich Erinnerungsarbeit gestalten, wenn es keine Zeitzeug*innen mehr gibt? Welche Rolle spielen die historischen Ereignisse in einem Land, welches über lange Zeit in der näheren Geschichte den bewaffneten Kampf der ETA (Euskadi Ta Askatasuna – deutsch: Baskenland und Freiheit) für die Autonomie des Baskenlands erlebt hat? Welche sozialen und politischen Kämpfe und Auseinandersetzungen spielen heute eine Rolle?
Erste Station: Bilbao
Wir beginnen unser Programm mit einem alternativen Stadtrundgang durch Bilbao mit erinnerungspädagogischem Hintergrund. Dabei erfahren wir vieles über die ehemalige Arbeiter*innenstadt, die sozialen Probleme und die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Bilbao war einst eine Arbeiter*innen- und Industriestadt, die Lage in der Nähe des Meeres und dem Hafen garantierte eine solide ökonomische Lage. Heute existiert von der ehemaligen Industrie nicht mehr viel. Der internationale Tourismus hat die Stadt für sich entdeckt und unter anderem das bekannte Guggenheim-Museum zieht Menschen aus aller Welt an. Die Gentrifizierung verändert auch hier das Stadtbild und die Zusammensetzung der Einwohner*innen.
Zeitzeug*innen in Gernika
Der folgende Tag ist Gernika gewidmet. Die Stadt Gernika ist durch das Bild von Pablo Picasso mit dem Namen Guernica bekannt. Bekannt wurde die Stadt durch den Bombenangriff am 26. April 1937 der Legion Condor, einem Teil der deutschen Luftwaffe. Der Bombenangriff forderte mehrere hundert Tote und führte zur fast vollständigen Vernichtung der Stadt. Nach einer Stadtführung unter historisch-politischen Gesichtspunkten treffen wir mit Zeitzeug*innen und Aktiven aus Gernika zusammen. Ihre Erzählungen sind ergreifend und traurig. Sie berichten auch von dem weitgehenden Desinteresse der jungen Generation an den historischen Ereignissen, sowie an die Erinnerung daran und einem generell schwachen Interesse an politischer Auseinandersetzung.
Zurück in Bilbao diskutieren wir mit unseren Partner*innen in einer Herriko, einer selbstverwalteten Bar der abertzalen Linken, über unsere Eindrücke.
Schauplatz erbitterter Kämpfe: Elgeta
Elgeta ist ein verschlafener kleiner Ort in den baskischen Bergen. Elgeta war über neun Monate lang Schauplatz und Frontlinie erbitterter Kämpfe zwischen den Franquisten und den Republikanischen Streitkräften. Nach einem Besuch des lokalen Memoria-Museums und Gesprächen mit den Aktiven der Erinnerungsarbeit in Elgeta fahren wir gemeinsam hoch auf das Plateau, auf dem die Kämpfe stattfanden. Neben dem futuristisch anmutenden Ehrenmal für die Gefallenen sind alte Gefechtsstände und Schützengräben von den lokalen Aktivist*innen erhalten worden. Über 80 Jahre nach den Kämpfen finden sie immer wieder alte Patronenhülsen. In Elgeta kämpften auch internationale Brigaden für die Seite der republikanischen Kräfte. Auch hier in Elgeta wird erwähnt, dass die jüngere Generation sich für Geschichte nicht sonderlich interessiert. Interessant war, dass es für die Gedenkstätte eine App gibt, die bei den verschiedenen Stationen des Gedenkraums Informationen zur Verfügung stellt.
Gerechtigkeit und Kapitalismus in Mondragon
Ein Besuch der Kooperative in Mondragon steht auf dem Programm. Meine anfänglichen Zweifel, dass eine langweilige Besichtigung voller Selbstbeweihräucherung der Firma bevorsteht, bewahrheiten sich nicht. Im Gegenteil, dank Ander, der uns hier empfängt, entspinnen sich hochinteressante Diskussionen über soziale Gerechtigkeit und Kapitalismus. Wir erfahren sehr viel über das Funktionieren der kooperativen Firma und ihrer Organisation, sowie den Ansprüchen der sozialen Gerechtigkeit, aber auch über die Schwierigkeiten diese, in einer vom Kapitalismus geprägten Welt, umzusetzen.
Nach einem langen Tag mit vielen Informationen fahren wir ans Meer. Aber nicht zum Baden, sondern wir besichtigen die Ruine des Atomkraftwerks bei Lemóiz. Diese mit Unkraut überwucherte und mit rostigem Stacheldraht umzäunte Bauruine ist ein Symbol für den erfolgreichen Widerstand gegen eines von der Zentralregierung geplanten Großprojekts. Der Widerstand ging sowohl von der Zivilbevölkerung als auch von der ETA, die Anschläge mit Toten und Verletzten verübten, aus. Ein bizarres Bild, welches sich an dieser Ruine bietet.
Das gallische Dorf im Baskenland
Vor den postmodernen Neubauten der Stadt Vitoria-Gasteiz reihen sich auf der grünen Wiese die Mietskasernen des Stadtteils Errekaleor. Diese wurden in den 1950er Jahren erbaut und boten über viele Jahrzehnte Arbeitenden und deren Familien der nahegelegenen Fabriken ein Zuhause.
Seit den 1980er Jahren wurden die Fabriken geschlossen, dem Erdboden gleichgemacht und auch Errekaleor erstarb langsam. Einige BewohnerInnen aber blieben. Diese wollte die Stadtverwaltung mit der Kappung aller sozialer Dienstleistungen wie dem Einstellen der Müllabfuhr eine Vertreibung der Bewohner_innen erreichen. Doch der Plan scheiterte.
Schließlich wurde Errekaleor vor mehr als fünf Jahren gemeinsam von jungen politischen Aktivist*innen und den verbliebenen Bewohner*innen wiederbelebt. Die Fassaden erhielten neue farbenfrohe Anstriche in Form von politischen Graffitis, Felder zur Selbstversorgung wurden angelegt und eine neue alternative Infrastruktur geschaffen. Nachdem die Lokalregierung Errekaleor vom öffentlichen Stromnetz kappte beschlossen die Bewohner*innen, sich mit internationaler Unterstützung eine Solaranlage zu bauen und mit Solarenergie selbst zu versorgen.
Die Reise ins Baskenland hat unseren Horizont erweitert und uns viel über die spannende und auch schmerzhafte Geschichte dieses Landes erfahren lassen. Wir haben interessante Menschen kennengelernt, aufschlussreiche und kontroverse Gespräche geführt und regen Austausch erlebt. Da noch einige Fragen offen geblieben sind und spannende Themen vertieft werden wollen planen wir in Zukunft weitere Seminare.
Großer Dank geht an unsere baskische Partner*innen-Gruppe Kulturverein Baskale!
Das Projekt wurde unterstützt von:
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
Hessische Landeszentrale für politische Bildung
Verein der Bundestagsfraktion DIE LINKE e.V.
Wir bedanken uns für die Unterstützung!
Infokasten:
1) Die Bedeutung des Begriffs abertzale in abertzale Linke ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen- , Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff abertzale nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.
Nr. 2 und 3. als weiterführende Links unter den Text.
Viele weitere Informationen zum Baskenland, baskischer Kultur, Geschichte, Gesellschaft und Politik könnt ihr hier finden:
2) http://www.baskultur.info/reisen/ausfluege/184-intxorta-elgeta