Adultismus. Dafür bist du noch zu jung
Erwachsene erinnern sich oft gerne an ihre Kindheit. Sie denken dann an Sorglosigkeit, Verantwortungsfreiheit, Sommerwiesen und Marienkäfer. Aber war sie wirklich so?
Wenn ich genauer an meine Kindheit zurückdenke, dann erinnere ich mich an ein starkes Gefühl der Machtlosigkeit. Ich erinnere mich daran, wie ich ewig auf meine Eltern warten musste, während sie sich mit anderen Erwachsenen unterhalten haben. Ich erinnere mich an Großeltern, Eltern, Bekannte und Fremde, die mich statt ernst zu nehmen einfach nur niedlich fanden. Im Laufe der Jahre wurde ich nicht mehr niedlich gefunden, stattdessen waren Menschen beeindruckt, wie gut ich mich ausdrücken konnte, obwohl ich doch so jung war. Ernst genommen haben sie mich dadurch trotzdem nicht. Ich erinnere mich daran, dass ich mir immer gewünscht habe, mein eigenes Geld zu haben, meinen eigenen Wohnraum, in dem ich nicht von den Entscheidungen meiner Eltern abhängig war und in dem ich tatsächlich eigenständig sein konnte. Ich erinnere mich, dass, egal was ich zu sagen hatte, Erwachsene am Ende immer Recht hatten. Wenn eine erwachsene Person anwesend war, hatte sie auch immer ein bisschen das Recht mir zu sagen, was ich zu tun hatte, egal, ob ich sie kannte oder nicht.
Was ist Adultismus?
Adultismus ist eine alltägliche Form der Diskriminierung von Erwachsenen gegenüber Kindern und jungen Menschen. Entscheidungen, Wünsche, Bedürfnisse, Autonomiebestrebungen und Einschätzungen von Kindern werden dabei von Erwachsenen nicht ernst genommen und unterbunden. Sowohl in der Sprache, als auch in Handlungen und Gesetzen findet eine Abwertung von Kindern durch Erwachsene statt. Erwachsen sein gilt als Status Quo. Die Welt ist von und für Erwachsene gebaut. Erwachsene beurteilen, was richtig und falsch ist und Erwachsene entscheiden, was mit der Welt passiert. Aber warum wird das Thema Adultismus nicht als Diskriminierung wahrgenommen? Kleinkinder sind am Anfang ihres Lebens tatsächlich vollkommen abhängig von den Älteren um sie herum. Dadurch erscheint das Machtgefälle zwischen Kindern und Erwachsenen häufig als naturgegeben und wir nehmen einfach an, dass Kinder grundsätzlich unterlegen sind. Kinder werden irgendwann selbst erwachsen und stehen dann am anderen Ende der Hierarchie. Dies ist nach meiner Vermutung auch der Grund, weshalb es noch keine bekannte Emanzipationsbewegung gegen den Adultismus gibt.
Aber ist das nicht auch richtig so?
Wenn ich mit Erwachsenen darüber rede, wird häufig gesagt, dass Kinder aber ja auch einfach zu unerfahren seien und Grenzen gesetzt bekommen müssten. Ich mache immer wieder die Beobachtung, dass es für Erwachsene gut funktioniert, autoritär und bestimmend zu sein. Kinder werden daran gewöhnt, sich unterzuordnen und sind häufig erst einmal verwirrt, wenn ihnen tatsächlich Freiheit gelassen wird. Zum Beispiel haben wir im BDP Haus am Hulsberg in Bremen vor kurzem ein dreitägiges Ferienprogramm für Kinder angeboten. Eines unserer Ziele war dabei möglichst partizipativ zu sein. Die Reaktion der Kinder war erst einmal Chaos und zu testen, wann wir ihnen Grenzen setzen würden. Das ergibt für mich im Nachhinein sehr viel Sinn. Kinder sind es gewohnt, Grenzen von Erwachsenen gesetzt zu bekommen. Dadurch verlernen sie, auf ihre eigenen Bedürfnisse, Grenzen und Möglichkeiten und die der anderen Kinder zu achten.
Dass viele Kinder so sind, wie sie sind, wird zu großen Teil von den Erwachsenen um sie herum beeinflusst. Oft verinnerlichen Kinder ihre Erwartungen und Anforderungen und versuchen, ihnen zu entsprechen. Und die Erwartungen, die Erwachsene an Kinder stellen, sind gesellschaftlich geprägt und werden durch Bücher, Wissenschaft und Gespräche unter Eltern vereinheitlicht. Diese reproduzieren Bilder über das Kind, nehmen Kindern die Individualität als Personen und machen aus ihnen unfertige Objekte. Sie gilt es zu erziehen, bis sie den Standards der Gesellschaft entsprechen.
Was bedeutet das für den BDP?
Auch im BDP sollten wir uns also fragen, wie wir mit Kindern und jüngeren Menschen um uns herum umgehen. Ein wichtiger Schritt dafür ist die persönliche Selbstreflexion. Als Erwachsene und junge Erwachsene denken wir meistens, dass unsere Pläne und Gedanken wichtiger und besser sind als die von Kindern. Damit ihre Gedanken und Bedürfnisse sich nicht immer hinten anstellen müssen, ist es also sinnvoll, sie in die Planung miteinzubeziehen. Auch sollten wir uns immer die Frage stellen: „Tue ich das gerade aus Bequemlichkeit, oder hat es einen tatsächlichen Sinn?“ Eine gute Anschauung dafür ist meiner Meinung nach ein Beispiel von ManuEla Ritz. Sie sagt: „Natürlich nehme ich ein 3-jähriges Kind an die Hand, wenn ich über eine befahrene Straße gehe. Das mache ich mit meinem erwachsenen Freund nicht, weil ich davon ausgehe, dass seine Blickhöhe und seine Erfahrungen ausreichen, um den Verkehr zu überblicken.“
Auch transparent zu machen, was ich vorhabe und warum ich so entscheiden möchte, ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn es in einer Gruppe mal chaotisch ist, lohnt es sich, mehrmals darüber nachzudenken, ob es jetzt wirklich sinnvoll ist, eine Grenze zu setzen. Der BDP schreibt sich außerdem Partizipation auf die Fahne. Lasse ich Kinder abstimmen, ob sie Löwen- oder Bärengruppe heißen wollen, oder lasse ich sie tatsächlich entscheiden? Echte Partizipation wäre letzteres.
Alle Erwachsenen waren mal von Adultismus betroffen. Als Erwachsene Person ist es also auch sinnvoll zu versuchen, sich zurück an die eigene Kindheit zu erinnern, um das eigene Verhalten heute zu reflektieren. Fragen, die sinnvoll sind sich zu stellen, sind außerdem zum Beispiel: Welche Vorstellungen und Erwartungen habe ich an Kinder? Warum habe ich die? Woher kommen sie? Und was hat das eventuell mit meinen Erfahrungen als Kind zu tun?
Als junger Mensch im BDP lohnt es sich immer wieder die Diskriminierung zu benennen, Erwachsene auf ihr Verhalten hinzuweisen und auch im eigenen Umgang mit jüngeren Menschen achtsam zu sein.
Von Luca
Interessante Links und Personen:
Naiv-kollektiv.org , ManuEla Ritz , https://www.newslichter.de/2017/10/adultismus-weil-du-juenger-bist-als-ich/