"Wir sind ein Kiez!" BDP Mädchenladen Spandau
Politische Bildung im BDP Mädchenladen Spandau
von Mohtaram Zaherdoust
Im Frühjahr 2012 waren auch Migrant_innen aus der Spandauer Neustadt Empfänger_innen eines faschistischen Hetzbrief der rechten Gruppierung 'Deutsche Philosophen'. Er beinhaltet unter anderem eine deutliche Mordrohung und die Aufforderung zur Ausreise. Viele Anwohner_innen waren durch den Erhalt dieses Briefes sehr verunsichert.
Auch die Jugendlichen unseres BDP Mädchenladen reagierten mit Angst, Sorge und Empörung. An vielen Öffnungstagen haben wir den Hetzbrief in der Einrichtung thematisiert.
In diesen Gesprächen haben wir über die Ängste der Jugendlichen gesprochen. Es wurde deutlich, dass sie den Wunsch hatten, den Betroffenen im 'Kiez' ein klares Signal der Solidarität zu vermitteln. Der Gedanke, eine Botschaft nicht an den 'Absender' sondern an die Migrant_innen zu senden, nahm in diesen Gesprächen und einer folgenden Ideenfindungsrunde erste Formen an.
Am Computer erstellten die Mädchen in 'Paint' und 'Word' ihre ersten Logo- und Textentwürfe.
Am Nachmittag des 20. Juni 2012 trafen sich dann bei uns im Mädchenladen betroffene Eltern, interessierte Anwohner_innen, Mitglieder des 'Spandauer Neustadt e.V.', ein Vertreter der Spandauer Initiative 'Stark ohne Gewalt', eine Vertreterin vom 'Runden Tisch Spandau' und unsere Jugendlichen zu einer ersten großen Gesprächsrunde.
Wir erfuhren von einzelnen Schicksalen der betroffenen Migrant_innen, die sich z.B. nicht mehr zu ihren Ärzten trauten, oder von Kindern, die nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße gehen durften.
Wir bündelten die Informationen und Ideen und unsere Jugendlichen machten klar, dass sie eine 'Gegenaktion' starten wollen. Sie erarbeiteten ihr erstes Logo. Das Motto war: 'Wir kommen aus den Ferien und wir sind wieder in unserem „Multi-Kulti Kiez'. Nach Besprechung des Logos in der großen Tischrunde und einer Kostenübernahme standen schließlich 5000 Karten zur Verteilung zur Verfügung.
Unsere Jugendlichen erhielten daraufhin Unterstützung von einer Anwohnerin durch ein Angebot zur 'Supervision'. Mit ihr diskutierten wir den Hintergrund der Botschaft unserer Karte und entwickelten eine neue Nutzung des Logos.
Im August mündete diese Arbeit in der Entscheidung zur Erstellung eines 'Fensterplakat' der Solidarität. Jede_r Anwohner_in kann nun durch Anbringung des Plakats in ihrem_seinem Fenster Solidarität im Straßenbild sichtbar machen.
Es folgte ein erster Besuch des Bezirksbürgermeisters, welchen wir durch ausführliche Information (über bezirkliche Verwaltungsstrukturen, Abteilungen, Ausschüsse und Bürgerbeteiligung) gemeinsam mit den Jugendlichen vorbereitet hatten. In intensiven Gesprächen thematisierten wir die Auswirkungen des Hetzbriefes im Neustadtkiez. Die Jugendlichen beteiligten sich mit vielen Beiträgen und stellten ihre Ideen vor.
Vertreten waren in dieser Runde neben unseren Jugendlichen und dem Bürgermeister auch die Presse, die Fraktionen SPD und GAL der Spandauer BVV und interessierte Anwohner_innen.
Eines von vielen Ergebnissen dieses Gespräches war, dass die Plakate unserer Jugendlichen nun auch in den Bürgerämtern aushängen.
Am Mittwoch, den 19. September trugen wir unsere Idee vor den Mitgliedern des Runden Tisches Spandau vor. Wir wurden dabei unterstützt von dem Jugendprojekt „Stark ohne Gewalt“ mit Redebeiträgen der männlichen Jugendlichen.
Anwesend waren das Landeskriminalamt (LKA), die Polizei mit der Dienststellenleiterin des Abschnitts Moritzstraße, die Aktion Out-reach, die Mobile Beratung gegen Rechts (MBR), verschiedene Vertreter/innen der Jugendhilfe, die Fraktionen der BVV SPD und GAL, das Bezirksamt Spandau, der Bezirksbürgermeister, die Berliner Opferberatung und vielen interessierten Bürger/innen.
Unsere Jugendlichen gaben ihren Bericht aus Sicht der Betroffenen wieder und vermittelten dem Ausschuss, wie sich der Hetzbrief bei Migranten/innen auswirkte. Sie erläuterten die Beweggründe eine Gegeninitiative zu starten und stellten das Fensterplakat vor. Dem Hinweis auf den fehlenden „Deutschland Luftballon“ konnten wir folgen.
Uns wurde die Unterstützung des Wirtschaftshof Spandaus zugesagt und die Übernahme der Druckkosten von 50.000 Plakatexemplaren durch eine Privatperson.
Unsere Jugendlichen wurden für ihr Engagement ausdrücklich gelobt. Aus ganz Berlin bekommen die Jugendlichen nun Zuspruch und Unterstützung für ihre Aktion. Seit September sind die Fensterplakate sogar in Schleswig-Holstein unterwegs und werden von antifaschistischen Gruppen in Berlin verteilt. Die Bezirke Charlottenburg/ Wilmersdorf und Kreuzberg nahmen Kontakt zu unserer Einrichtung auf.
Wir danken allen, die uns bei unserer Aktion unterstützt haben und sind sehr engagiert, weiter zu machen und Zeichen der Solidarität zu setzen!